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[ Behutsame Sanierung ]

Bei Aalto im Allraum

Eine Wohnung von Alvar Aalto in Berlin ist mit viel Respekt modernisiert worden.

Heike Oevermann
Der Garderobenschrank ist innen quietschgelb. Diese auffälligste neue Farbe nach der Wohnungssanierung im 1957 gebauten Hochhaus von Alvar Aalto im Berliner Hansaviertel entdeckt man aber erst, wenn die Schranktür geöffnet ist. Ansonsten agierten die Architekten zurückhaltender – ganz im Geist Alvar Aaltos. Johannes Reuter und Katharina Schoger gestalteten die Vierzimmerwohnung vor drei Jahren in freundschaftlicher Beziehung mit den Bewohnern. Das Projekt gibt nach wie vor ein herausragendes Beispiel für respektvollen, traditionsbewussten Umgang mit der Wohnarchitektur der Nachkriegsmoderne.

Von der Eingangstür im sechsten Stock kommt man zunächst in die Küche. Sie ist aber auch Durchgangsraum, verlängert den Eingangsflur und erschließt den Essbereich. Ein sandfarbener, geschliffener und versiegelter Calciumsulfatestrich leitet das Auge durch die Küche gradlinig zum Tisch. Der Küchenbereich mit einer einseitigen Zeile aus weißem Corian ist wie ein Einbaumöbel entworfen.

Selbst auf Griffe wurde verzichtet. Die Türen und Schubladen werden mithilfe leicht überstehender Corianleisten geöffnet. Geschlossene Oberschränke im Farbton der Wand bilden ein niedrig gehaltenes, horizontales und dezentes Band. Durch die Abstraktion und Homogenität der zwei Küchenmöbel bleibt dieser Bereich atmosphärisch so ambivalent, wie er vom Grundriss her angelegt ist.

Erneuerte Moderne: Im Berliner Wohnhaus von Avar Aalto haben Johannes Reuter und Katharina Schoger eine Wohnung im Geist von 1957 umgebaut

Zum Essbereich führt die lange Küchenzeile. Ausgestattet mit einem runden Tisch bildet er den ersten Gravitationspunkt der Wohnung. Gemeinsam mit ihm schafft eine neue Sitzbank über der Heizung – anlog der originalen in Alvar Aaltos vielfältig nutzbarem „Allraum“ – gemeinsam mit dem runden Tisch Verweilqualitäten auf wenigen Quadratmetern. Insbesondere das naturbelassene, nur geölte Eichenholz der Bank strahlt Wärme aus. Ein großflächiger, aber flacher Oberschrank bietet neuen Stauraum. Er nimmt die von den Fenstern vorgegebenen Rhythmen auf und gliedert die Wandfläche an der Stirnseite zurückhaltend, als sei er immer schon da gewesen. Seine Schiebetür dient bei starkem Sonnenschein auch als Lichtblende für das danebenliegende Südfenster. Eine gelungene Doppelfunktion, wenn der Schrank mit Dekoelementen – Vasen, Schüsseln etc. – angenehm bestückt ist.

Der zur Loggia orientierte Allraum ist das Zentrum der Wohnung. Sandfarbendes Linoleum und geputzte, leicht getönte Wände erlauben dem von außen einflutenden Licht,  die Farben innen immer wieder neu zu variieren. Starker Sonnenschein lässt die Wohnung abstrakt weiß erscheinen, bei fahlem Winterlicht beleben sich die Wände, indem sie in ockerfarbenden, hellbraunen bis hin zu rosa-rötlichen Tönungen changieren. Hier findet sich die originale Eichenholzbank über der Heizung am Fenster zur Loggia.

Über den Türen zu den drei kleineren Zimmern auf der Ostseite der Wohnung bauten Reuter und Schoger rahmenlose Oberlichter ein. Sie wecken Aufmerksamkeit für die Nebenräume, die zuvor als abgeschlossene Kammern einen starken Kontrast zu dem fließenden Allraum gebildet hatten. Diese kleinen Nebenräume – Kinderzimmer, Schlafzimmer, Arbeitszimmer – haben große Fensterflächen, die bis zur Decke reichen. Sie leben stark vom Ausblick auf die Stadt und weniger vom Bezug zum Allraum. Aalto hatte damit innerhalb der Wohnung sehr unterschiedliche Raumqualitäten geschaffen. Diese Differenzierung besteht auch nach der Öffnung der Räume mit dem Oberlicht, ist aber geschwächt zugunsten der Idee, alle Teile der Wohnung fließend miteinander zu verbinden.

1 Allraum • 2 Küche • 3 Balkon • 4 Schlafzimmer • 5 Gästezimmer • 6 Arbeitszimmer • 7 Bad • 8 Flur • 9 Kammer • 10 Einbauschrank im Original • 11 Einbauschrank neu • 12 Bank

Das innen liegende Badezimmer wurde stark umgebaut. Eine Wandscheibe ist verschwunden, die Toilette und Badewanne optisch voneinander getrennt hatte. Heute liegt die Badewanne quer im hinteren Raumteil, umgeben von Wänden mit hellem Kleinmosaik. Nahe der Tür hängt das große Waschbecken. Der Raum wirkt so größer, aber die Nutzer des Bades haben auch weniger Distanz. Unruhig wirkt der kleine Wandversprung zwischen Toilettenrückseite und Waschbecken, der durch einen neuen Einbauschrank über dem Waschbecken entstanden ist. Der Wandanstrich mit Amphibolin, einer wie Putz aussehenden, wasserabweisenden Wandoberfläche rund um das Waschbecken, ist auch nach drei Jahren Benutzung noch tadellos. Der geschliffene Estrich am Boden bewährt sich ebenfalls.

Luxuriös wird die Wohnung noch einmal durch eine räumliche Entscheidung: Das südlichste der drei Nebenzimmer hat Zugang zur großen Loggia. Hier ist das Schlafzimmer angesiedelt. Im Sommer können die Bewohner nicht nur bei offenem Fenster schlafen, sondern mit offener Tür zur Loggia nächtigen – quasi im Garten. Die Vielzahl der Zugänge und möglichen Wege, aber auch die Existenz besonderer Orte innerhalb der Wohnung war und bleibt eine ihrer großen innenräumlichen Qualitäten. Aalto hat es verstanden, sie auch für den damaligen sozialen Wohnungsbau zu erzeugen. Reuter und Schoger interpretieren wie im Essbereich den Entwurf Aaltos gelungen neu, aber sie kontrastieren ihn auch und verändern die Wohnung zugunsten des Zeitgeistes.

Wieder außerhalb der Wohnung, unten auf der Gartenterrasse des Hauses entdeckt man das rekonstruierte Deckengemälde, das 1957 Aalto selbst am Bau angebracht hatte. Weiße, beigefarbene und schwarze geschwungene Felder führen die einfallsreiche Meisterschaft vor, die er in Details, Materialien und Farben immer wieder gezeigt hat. Bis heute setzt er den Maßstab.

Autorin Heike Oevermann hat Architektur studiert und lebt im Berliner Hansaviertel.

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