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[ 1960er – Wolfsburgs Moderne ]

Volkswohn-Werk

Die Wolfsburger schätzen und schützen ihre Nachkriegsikonen im Stadtzentrum. Für denkmalwerte Wohnquartiere sind die Perspektiven schlechter.

Alltagsbauten: Wolfsburgs Wohnstadt Detmeroden in ihrer Entstehungszeit. Die Gardine deutet an, dass die klaren, kantigen Formen der damals zeitgenössischen Architektur nicht bei allen Bewohnern beliebt waren. auch heute ist die Akzeptanz für einen möglichen Denkmalschutz begrenzt.

Uli Meyer
Die Stadt Wolfsburg besitzt so viele denkmalgeschützte Gebäude der Nachkriegszeit wie keine andere Stadt in Deutschland. Die Stadt ist erst 70 Jahre alt und hat sich vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg rasant entwickelt. Ihre Einwohnerzahl stieg zwischen 1950 und 1975 von 25 000 auf über 125 000. Um den neuen Bürgern ausreichend Wohnraum zu bieten, entstanden viele neue Wohnquartiere mit dazugehörigen Einkaufs-, Bildungs- und Sakralbauten. In der Innenstadt errichtete man markante Kulturbauten, die aus Wolfsburg eine „richtige Stadt“ machen sollten.

Alvar Aalto, Hans Scharoun, Zaha Hadid: Viele große Namen der Architektur sind eng mit der Stadt verbunden. Prominente Bauwerke wurden in den letzten Jahren saniert und unter Denkmalschutz gestellt. Keine Selbstverständlichkeit: Die Bauten der Wirtschaftswunderjahre stehen in der Denkmalpflege und Architekturgeschichte immer noch nicht besonders hoch im Kurs.

Doch wie steht es mit dem Bewusstsein der Wolfsburger für die schützenswerten Gebäude ihrer Stadt? In einer Umfrage der Lokalzeitung zum diesjährigen Tag des Denkmals wurden die Bürger befragt, was sie unter Denkmalschutz stellen würden. Bei fast allen kamen die bekannten Gebäude der Stadtmitte wie Aaltos Kulturhaus, das Rathaus von Titus Taeschner oder Scharouns Theatergebäude in der Aufzählung vor. Ein Bewusstsein für die Qualität der Architektur dieser Epoche scheint sich also, vielleicht auch aus Mangel an älteren Bauwerken im Stadtbild, bei der Bevölkerung entwickelt zu haben.

Was aber, wenn es sich bei einem Denkmal nicht um einen Solitärbau im Stadtzentrum, sondern um ein Flächendenkmal im Wohnviertel handelt? Und das ist in Wolfsburg ein sehr häufiger Fall: Zahlreiche Wolfsburger Wohnungs- und Siedlungsbauten ergeben zusammen ein Flächendenkmal. Sie machen die große Masse der geschützten Objekte aus. Aus jedem Jahrzehnt seiner jungen Geschichte verfügt Wolfsburg über ein Stadtteil- oder Siedlungsbauprojekt, das nach der jeweiligen städtebaulichen Philosophie dieser Dekade erbaut wurde.

Einer dieser ersten Stadtteile, der Steimker Berg, wurde bereits Anfang 1940 bezugsfertig. 483 Wohnungen waren erstellt, davon 250 Eigenheime. Hinzu kamen vier um einen kleinen Platz angeordnete Geschäftsblöcke für „Zwecke der Geschäftsleute und Handwerker“. Entstanden ist eine Siedlung, deren traufständig angeordnete ein- bis zweigeschossige Einzel-, Doppel- und Reihenhäuser im Stile Heinrich Tessenows an leicht gekrümmten Straßen abwechslungsreiche Straßenräume bilden.

Jalousieklappläden, unterschiedlich ausgeformte Dachgauben, Risalite und die sparsame Verwendung von Naturstein oder Sichtmauerwerk entsprachen den damaligen bürgerlichen Wohnvorstellungen einer Gartenstadt. Eine Wohnvorstellung, die auch heute noch für viele Wolfsburger die Attraktivität dieses Stadtteils ausmacht. Bereits Anfang der 1980er-Jahre entstand in dem beliebten und als Wohnort nachgefragten Quartier eine Bürgerinitiative, die erreichte, dass der Steimker Berg als Flächendenkmal ausgewiesen wurde.

Ein Engagement der Bevölkerung, das man auch manch anderem Stadtteil Wolfsburgs wünschen würde. Das südlich vom Stadtkern gelegene Detmerode beispielsweise und auch das benachbarte Westhagen aus den frühen 1970er-Jahren harren immer noch ihrer Anerkennung und Wertschätzung. Am Beispiel Detmerodes lässt sich gut verdeutlichen, vor welchen Herausforderungen und Problemen der Denkmalschutz für Wohngebiete der 1960er- und 1970er-Jahre steht.

Wolfsburger Stadttheater von Hans Scharoun

Hoher Leerstand, wenig Qualitätsbewusstsein

Um einen komplett neuen Stadtteil und nicht nur wie bisher eine Wohnsiedlung zu bauen, wurde 1961 ein städtebaulicher Wettbewerb ausgeschrieben, den der Berliner Architekt Paul Baumgarten gewann. 1968 war der Stadtteil fertig – nach der damaligen Auffassung von moderner, innovativer Architektur mit Flachdachgebäuden. Markante Hochhausscheiben rahmen flächige, stark verdichtete Reihen-, Ketten- oder Gartenhofhäuser ein.

Ein streng funktionsgerechtes, auf der Fußgängerebene die Ausfallstraße überbrückendes Einkaufszentrum bildet zusammen mit der Kirche, einem Restaurant und einem Café die Platzkanten des „Det meroder Marktes“. Für die neu gegründete evangelische Gemeinde „Stephanus“ wurde für das Kirchengebäude Alvar Aalto als Architekt verpflichtet, für die angeschlossene Kindertagesstätte Hans Scharoun. Während beide als Einzeldenkmale bereits unter Schutz gestellt sind, stehen für den Wohnungsbau in Detmerode gravierende bauliche Veränderungen an.

Nach rund vierzig Jahren ist in vielen Gebäuden eine grundlegende Sanierung fällig. Zudem stirbt die erste Bewohnergeneration langsam aus und neue Eigentümer bauen oft ihre Häuser um. Hinzu kommt das Energiesparen durch den Einbau von Wärmedämmschichten, Isolierverglasung und Kunststofffenstern. Sie zerstören typische Elemente der 60er-Jahre-Architektur: schmale Fensterprofile, dünne Laibungen und eine starke Gliederung durch Flachdachverkleidungen. Damit gefährden sie den erwogenen Schutz als Denkmal. Doch der Druck ist hoch: Stadtteile wie Detmerode und der 70er-Jahre-Stadtteil Westhagen haben mit großem Wohnungsleerstand zu kämpfen.

Sonntagsbauten: Für prominente Werke wie das Wolfsburger Stadttheater von Hans Sharoun (oben) und die Detmeroder Stephanuskirche von Alvar Aalto ist der Denkmalschutz unbestritten

Öffentliche Wohnungsgesellschaften wollen dem entgegenwirken, indem sie die Häuser energieeffizient und damit die Mieten erschwinglich machen. Bei Eigenheimen fürchten viele Bewohner Nachteile wie Wertminderung und mangelnde Verkaufsaussichten – Ängste und Vorurteile, die die Unterschutzstellung erschweren. Bleibt zu wünschen, dass Wolfsburg es schafft, seinen reichen Bestand an Nachkriegsarchitektur zu bewahren. Das wird nur funktionieren, wenn es gelingt, das Bewusstsein in der Bevölkerung für ihre Qualität und damit ihren Wert schaffen.

Uli Meyer ist Architekturjournalist und Designer in Berlin.

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