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[ Kaiserzeit – Grube Carl in Frechen ]

Phönix aus der Asche

Die Umnutzung der Brikettfabrik Grube Carl in Frechen nützt allen: den neuen Bewohnern, den Denkmalschützern und den Nachbarn.

An die industrielle Vergangenheit des Trocken- und Pressenhauses erinnern die erhaltenen Kohleförderbrücken. Foto: C. Lachenmeier

Michael Schmid
„Hier lag früher mein Schrebergarten“, sagt der alte Mann. Er steht mit dem Rücken zu dem lang gezogenen Trocken- und Pressenhaus der Grube Carl. Dann weist er nach Süden, wo hinter dem weiter unten liegenden Wald Schlote zu sehen sind: „Dort machen sie immer noch Briketts.“

Der Herr, der seinen Namen nicht nennen will, ist in Frechen bei Köln aufgewachsen. Inmitten der rheinischen Industrielandschaft, der Braunkohle und der verklinkerten Fabrikgebäude. Sie prägen Orte und Region, sind Symbole für Arbeit, Aufschwung und kleinen Wohlstand, aber auch für Niedergang und Wandel. Sie sind Identifikationsstifter vieler Biografien. Und bauliche Wegbegleiter – selten aber so exponiert wie die Grube Carl, die sich auf einer Anhöhe über Frechen erhebt und unter Denkmalschutz steht.

90 Jahre lang produzierte die Fabrik Briketts, bis sie 1995 stillgelegt wurde. Züge lieferten die Rohkohle an, über eine umbaute Bandbrücke wurden sie in das Obergeschoss des Nassdienstgebäudes befördert. Vertikal lief die Kohle durch den Bau, wurde genässt und gemahlen. Unten angekommen, gelangte die zerkleinerte Kohle über eine zweite Bandbrücke ins Obergeschoss des größten Fabrikgebäudes, des über hundert Meter langen und bis zu 25 Meter hohen Trocken- und Pressenhauses, das sie auf der anderen Seite als fertige Briketts verließ. Das Fabrikensemble komplettieren dienende Gebäude wie die Elektrozentrale, das Niederdruckkesselhaus und die Werkstatt.

Glücksfall

Große Teile der Grube Carl sind heute umgenutzt, sind  revitalisiert zu einem Wohnquartier als Teil eines neuen Stadtviertels von Frechen und auf dem Weg zu neuem Symbolgehalt. Denn die Grube Carl ist ein Glücksfall für den Denkmalschutz. In Frechen führten eine gut erhaltene Bausubstanz, die stadtplanerische Bedeutung des Objekts und die kreative Verbindung von Industriegeschichte und modernem Wohnen durch das Kölner Büro Astoc Architects & Planners zu einer gelungenen Umnutzung. Baukulturell, aber auch wirtschaftlich: Wohnungen und Gewerbeeinheiten waren in vergleichsweise kurzer Zeit verkauft.

Das Trocken- und Pressenhaus ist fertiggestellt; das Niederdruckkesselhaus wird gerade entkernt. „Die Denkmalumnutzung wird für mich jetzt ein Thema bis zu meiner Rente bleiben“, sagt Architekt Andreas Kühn, einer der Astoc-Geschäftsführer. Hinter ihm liegen fast vier Jahre Beschäftigung mit dem Projekt, das sich auch für das Büro zum Aushängeschild entwickelt hat. Astoc erhielt 2008 einen Preis im Verfahren „NRW wohnt – Wohnen an ungewöhnlichen Orten“, ausgelobt von der Architektenkammer und dem Bauministerium des Landes. Dessen Ziel: Aufmerksamkeit zu schaffen für Umnutzungen, die ökonomische Tragfähigkeit mit attraktivem und individuellem Wohnen verbinden.

Im Trocken- und Pressenhaus der Grube Carl lässt sich heute ziemlich exklusiv wohnen. Foto: C. Lachenmeier

An Individualität herrscht in der neuen Grube Carl kein Mangel. Die fünf Backsteingebäude, die das angrenzende Neubaugebiet hoch überragen, verleihen in ihrer Bestandsdichte dem Areal einen so eigenständigen wie eigenwilligen Charakter. Den Eindruck unterstützen die restaurierten Förderbrücken, die nun nicht mehr über Industriegelände, sondern über Gärten, Wege und eingehegte Tonnenhäuschen führen. Kleinere Reminiszenzen an die industrielle Vergangenheit sind die verbliebenen Abschnitte schmalspuriger Gleise, eingebettet in die neuen Kopfsteinpflaster von Wegen und Freiflächen.

Nicht weniger individuell geriet die Innengestaltung des Trocken- und Pressenhauses. Die Geschosse des Industriebaus blieben unterschiedlich hoch. Decken oder Deckenkragen trafen sich auf versetzten Ebenen. Diesen Versatz gleichen heute Treppenhäuser aus. Dabei untergliedern sie das Gebäude in fünf Segmente mit jeweils sechs Stockwerken, die teilweise mit unterschiedlichen Höhen aufwarten und auf unterschiedlichen Ebenen liegen. Die Architekten schufen insgesamt 7 300 Quadratmeter Wohnfläche, auf die sich 71 Wohnungen und Lofts mit zwei bis vier Zimmern – manche sogar dreigeschossig – verteilen. In den oberen Etagen liegen Maisonettewohnungen mit Dachterrassen, von denen aus der Blick bis zum Kölner Dom reicht.

Fünf Kriterien macht Andreas Kühn für die gelungene Umnutzung des Industriekomplexes verantwortlich. Erstens die Lage: „Seine Nähe zu Frechen und letztendlich zu Köln sowie die Integration in ein neues Wohngebiet erzeugen einen wichtigen städtebaulichen Zusammenhang.“ Zweitens habe die Gebäudestruktur die Wohnnutzung begünstigt – die 15 bis 16 Meter Tiefe des Trocken- und Pressenhauses erlaubten noch adäquate Grundrisse. Drittens stimmte die vorgefundene Bausubstanz: „Da erst 1995 stillgelegt wurde, gab es wenig Verfall“, erinnert sich Kühn. Die wegen ihres historischen Sichtmauerwerks zu erhaltenden Wände erwiesen sich als massiv und stabil genug. Zudem besaß das Fabrikgebäude ausreichend Fenster, die zum Wohnen notwendige Belichtung bedeutete, so Kühn, „keine Aufgabe der Seele des Gebäudes“.

Viertens waren Eingriffe in die Bausubstanz möglich, die den Wohnwert zeitgemäß erhöhten: Der Denkmalschutz ließ es zu, in die vorher geschlossene schmale Westseite Fenster zu brechen und den Rhythmus der  neuen Fenster auf den Längsseiten gemäß den Wohnungsgrundrissen und unterschiedlichen Geschosshöhen behutsam umzugestalten. Ebenso konnte jede Wohnung einen nicht zu klein dimensionierten Balkon erhalten.

Und fünftens verstanden es die Architekten nicht nur hier, mit viel Gespür die Anliegen des Denkmalschutzes zu berücksichtigen. Der forderte etwa, die alte Struktur der Klinkerfassaden zu bewahren. Was dank des guten Zustands der Steine und moderner Technologien zum nachträglichen Feuchtigkeitsschutz möglich war. Die EnEV-gemäße energetische Aufwertung des Mauerwerks leistete eine Dämmung im Innenbereich.

Dachlandschaft: Die alten Kühlhauben der Fabrik bildeten die Architekten in Aluminium nach. Sie überdachen den Zugang zu den Dachterrassen aus den darunter liegenden Maisonettewohnungen. Foto: C. Lachenmeier

Weiterhin galt es, die Silhouette des Trocken- und Pressenhauses zu erhalten. Dessen markantes Kennzeichen  waren acht eiserne Kühlhauben auf dem ursprünglich geneigten Dach. Die Architekten bildeten nicht nur ihre ursprüngliche Form in Aluminium nach, sondern nutzten sie auch fürs Wohnen: Das Dach wurde durch einen Aufsatz begradigt und zu einer siebten Etage mit großzügigen Dachterrassen ausgebaut. Die neuen Hutzen dienen den darunterliegenden zweistöckigen Maisonettewohnungen als Zugang zu den Terrassen wie auch als Oberlichter – und bilden einen Raum, der die Höhe dreier Etagen umfasst.
Denkmalachse

„Die für uns wichtigste, weil am meisten Vertrauen bildende Maßnahme bei den beteiligten Behörden war die Idee der Denkmalachse“, erinnert sich Kühn an die Gespräche mit Landeskonservator und Denkmalschutzamt. Sie schlug zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen ging es um den Erhalt von Maschinen des Werks, um die Industriekultur beispielhaft erlebbar zu machen. Die Architekten er dachten eine Passage durch das Trocken- und Pressenhaus, in dessen Mitte heute eine der restaurierten Maschinen ausgestellt ist. Strukturell ist die Achse dort im Gebäude platziert, wo zwei Haussegmente aneinandergrenzen. „Zum anderen besaß der Durchgang für uns stadtplanerische Bedeutung“, ergänzt Kühns Geschäftsführungskollege Peter Berner. „Er schafft Öffentlichkeit und Nahbarkeit. Die Nachbarn aus Frechen sind nicht mehr durch das große Trocken- und Pressenhaus vom Gelände ,ihrer‘ Grube Carl ausgeschlossen.“ Ebenso haben die Historiker ihren Raum, wenn sie die in das Areal verlängerte Achse nach der Gesamtfertigstellung gestalten werden.

Und was denkt jener Frechener, der hier immer noch gern spazieren geht? Er bringt das wohl nachhaltigste Ergebnis auf den Punkt: „Gut, dass es die Grube Carl noch gibt.“

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