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[ Zollverein Essen ]

Vertrackter Attraktor

Der Bau der Zollverein-Schule in Essen sollte ein Zeichen für den Strukturwandel setzen. Doch der radikale Neubeginn überfordert – und beeinträchtigt auch positive Entwicklungsansätze.

Heike Oevermann

Der Blick aus der Ferne fasziniert: Blickt man vom 14. Stock des Essener Rathauses nach Nordosten, schimmert drei Kilometer von hier der weißsilberne Kubus der neuen Zollverein-Schule wie ein Leuchtturm inmitten der industriellen Stadtlandschaft. Der Strukturwandel von der Kohle zu den „Creative Industries“ scheint mit dem Gebäude der Architekten Sanaa ein sichtbares Zeichen bekommen zu haben. Auch beim Näherkommen wirkt das Gebäude so, als ob es die stille Kraft hätte, die alten Strukturen des Ortes verändern zu können.

In der Sprache des japanischen Rationalismus interpretiert das Gebäude die Ästhetik der benachbarten Industriearchitektur aus den 30er-Jahren neu, ihre Maßstäblichkeit, Einfachheit und Transparenz. Damit knüpft die neue Architektur an die damalige Bedeutung von Zollverein an, die als modernste Zeche ihrer Zeit Knotenpunkt wirtschaftlicher Entwicklung war. Die Verbindung von Alt und Neu wirkt innovativ als zeitgenössische Interpretation der überkommenen Industrieästhetik. Der sorgsam gewählte Rückgriff auf das Erbe scheint Wege für die Zukunft zu weisen.

Zechenbau und ­Designschule: ­Sorgsame Anpassung oder irrtümlich angesiedelter Fremdkörper?

Innovativ sollte schon der Wettbewerb für die Schule im Jahr 2002 sein: Die Architekten wurden aufgefordert, nicht nur ein Gebäude zu entwerfen, sondern auch gleichzeitig Ideen für die Inhalte der Schule zu liefern und als Partner Forschung und Lehre mitzuentwickeln. Einzelgespräche mit den fünf Büros der letzten Runde sollten zur ganzheitlichen Konzeption führen. Doch wie sollte Architekturgestaltung, zudem aus fernen Städten wie Tokio, New York und Wien, ein Funktions- und Raumprogramm für eine Institution mit erarbeiten, die in ihren Strukturen, Inhalten und Angeboten selbst noch nicht mehr als eine Idee war? Auch der Standort machte es nicht leichter: Der Essener Norden war im internationalen Kontext der Designausbildung unbekannt und ist bis heute nicht als kreatives Milieu anerkannt. Die sozioökonomische Struktur dort weist weder Technologie noch Talente im besonderen Maße auf, die Triebfedern für regionale Entwicklungen sein können.

Fremde statt Verbindung

Auch räumlich war die Aufgabe für den Standort übergroß: Zollverein ist einerseits Weltkulturerbe, andererseits verlassener Industrieort mit all seinen Nebenwirkungen des Niedergangs. Für das etwa 100 Hektar große Zechenareal rund um Schacht XII, Schacht 1/2/8 und die Kokerei hatte Rem Koolhaas 2002 einen Masterplan entworfen. Er sah um den Kern der alten Anlagen drei neue „Attraktoren“ vor, die als Eingangstore zu dem früher abgeschlossenen Gelände fungieren sollen, darunter die Schule.

Letztere sollte also auch städtebauliches Bindeglied sein, das zwischen Stadtteil und ehemaligem Betriebsgelände vermittelt und die dringend benötigten neuen Akteure für die ­alten Hüllen anzieht. Doch auf dem ausgewiesenen Grundstück an der Gelsenkirchener Straße steht das Schulgebäude zwischen biederen zwei- und dreigeschossigen Wohnbauten und Supermarkt-Flachbauten. Was beim Fernblick aus dem Rathaus noch funktioniert, wird aus der Nähe fraglich: Das neue Gebäude wirkt in jener provin­ziellen Normalität eher wie ein irrtümlich angesiedelter Fremdkörper als wie ein verbindendes Element, das zwischen Zeche und Stadtteil, zwischen industriellem Niedergang und Neubeginn als Designstandort vermitteln könnte.

Noch folgenschwerer als der formale Bruch ist das ­offenbare Scheitern der engen Verknüpfung von so viel Neuem: einer neuer Architektur mit neuen Raumkonzepten und einer neuer Institution mit neuen Inhalten und neuen Köpfen. Schon der mit der Präsentation des Masterplans verbundene Anspruch war hochgegriffen: Zollverein sollte zu einem Designstandort entwickelt werden, der sich mit London und Barcelona messen kann.

Zwar gab es bereits die in der Nachkriegszeit bedeutende Ausbildung für Produktdesign der Folkwang-Schule, doch diese liegt am anderen Ende der Stadt im idyllischen Ruhrtal und wurde kein tragendes Element der Entwicklung im rauen Essener Norden. Auch die Entscheidung für Sanaa als Architekten sollte den globalen Anspruch betonen. So jedenfalls die formulierten Wünsche und Hoffnungen 2002. Doch 2008 haben gerade einmal 44 Studenten in drei Jahrgängen ein Teilzeit-Aufbaustudium zum „Executive MBA“ absolviert oder sind dabei. Der Vollzeitkurs zum MBA ist mangels Studenten wieder abgesagt worden.

Organisch gestartet: Hochschule für Gestaltung in Ulm. Hier entwickelte sich erst die Gesellschaft und dann die Architektur.

Und für den im Internet präsentierten Studiengang „Space – Master of Architecture“ gibt es akkreditierungsreife Unterlagen, aber noch nicht mehr. Zumindest fraglich ist die Anerkennung dieses Studiengangs durch die nord­rhein-westfälische Architektenkammer. Nach den bislang dort vorliegenden Informationen handelt es sich bei „Space“ wohl nicht um eine Architekturausbildung, weshalb die Bezeichnung vermutlich irreführend ist: Ein „Master of Architecture“ ist eben nicht das Gleiche wie ein Architekt mit ­allen damit verbundenen Rechten.

Das aber ist nicht ganz unbedeutend für die Studenten, die 15 000 Euro für die Ausbildung bezahlen sollen. In dem insgesamt beschränkten Angebot und der geringen Nachfrage manifestiert sich der zentrale Irrtum des ganzen Projekts: dass eine Idee und eine spektakuläre Hülle noch keine erfolgreiche Innovation ergeben. Ungewollt wird der Bau damit zu einem ganz anderen Symbol: dem eines Fremdkörpers, der nicht aus seiner Umgebung herausgewachsen ist, sondern mit zu wenig Bezug zum Vorhandenen allzu rasch implantiert wurde.

Ein historischer Vergleich zeigt dagegen, wie ein organischer Beginn einer solchen Institution funktionieren kann: die erste und bedeutende private Neugründung einer ­De­signakademie in Deutschland, die Hochschule für Ge­staltung (HfG) in Ulm. Sie wurde nach dem Krieg von Inge Scholl-Aicher und Otl Aicher als Volkshochschule gegründet, zu einer Tageseinrichtung für Erwachsenenbildung, dann zur Geschwister-Scholl-Hochschule und unter Mit­wirkung von Max Bill schließlich zur HfG weiterentwickelt. Erst sieben Jahre nach dem Start der Volkshochschule wurde das eigene Hochschulgebäude geplant und zwei Jahre später eröffnet. In Ulm entwickelte sich zuerst die Gesellschaft und dann die Architektur.

Schwieriges Innenleben

Und in Essen? Dort hält die Architektur auch drinnen wenig von dem, was sie vor Jahren versprach, nämlich ein städtischer Ort des kreativen Schaffens zu sein. Vom Konzept des Erdgeschosses, das zunächst für öffentliche Funktionen mit Orientierung zum Stadtteil vorgesehen war, ist kaum etwas übrig geblieben. Es gibt kein Café, sondern einen Wachmann. Es gibt keinen Eingang zur Straße, sondern nur einen zum ehemaligen Montangelände. Die erste Etage, die als „Produktionsebene für 200 arbeitende Studenten“ gedacht war, ist bisher gar nicht von der Schule benutzt worden.

Nur gelegentlich finden hier Veranstaltungen und Ausstellungen unterschiedlicher Institutionen statt. Die Ebene 2 ist durch drei geschlossene Raumkisten innerhalb des Gesamtraums ge­gliedert. Die Räume im Raum sind Konzentrationspunkt und Rückzugsort. Doch im ganzen Gebäude fehlt Frischluft, in den Raumkisten noch mehr. Die Studenten jedenfalls halten sich während ihrer ganztägigen Seminare lieber in den Freiflächen zwischen den Raumkisten auf.

Seit Anfang des Jahres ist diese Etage an eine Bildungsinstitution der Immobilienwirtschaft vermietet. Die „School for Management and Design“ ist nur noch Mieter der dritten Etage, die vor allem für Büros konzipiert war. Hier oben, mit den kleinen Höfen zur Dachterrasse und den vielschichtigen Glaswänden, kommt endlich die Stärke des Entwurfs zur Geltung. Denn hier ordnet sich die Funktion nicht der Form unter, sondern die Form erlaubt vieles und besticht dennoch durch ihre klare Ästhetik. Doch auch hier treten technische Probleme auf, vor allem beim Energiekonzept. Grubenwasser soll das Gebäude heizen, was die Konstruktion eines Prototyps erforderte. Dessen Kinderkrankheiten sind noch nicht unter Kontrolle. Damit sind auch die Betriebskosten noch nicht kalkulierbar.

Ab 2006 sollte die Schule sich selbst tragen, sie tut es bis heute nicht. Und der Initiativkreis Ruhrgebiet, einer von drei Gesellschaftern neben der Uni Essen-Duisburg und der Uni Wuppertal, hat sein von Anfang an zeitlich beschränktes Engagement über 2007 hinaus nicht verlängert. Mehr noch: Die selbst gestellte Aufgabe, ein ganzes Haus zu bewirtschaften, hat offensichtlich Geld und Ressourcen gebunden, die Struktur und Inhalte der Schule hätten fördern können. Jetzt werden neue Strukturen gesucht – seien sie privat, öffentlich oder aus beidem kombiniert.

Andrej Kupetz, zweiter Präsident der Schule, formulierte zu ­Beginn seiner Amtszeit 2006 den Anspruch: „Eine Innovation muss am Markt Widerhall finden. Am Ende zählt ausschließlich der Markterfolg und nicht die Idee.“ Ende ­Oktober 2007 trat er von seinem Amt zurück. Ein Nachfolger ist noch nicht gefunden. Die Zukunft der Institution ist offen.

Hoffnung auf die Folkwang-Schule

Die Zukunft des Gebäudes auch. Seit 2008 kümmert sich die öffentliche Entwicklungsgesellschaft Zollverein um Fremdvermietungen, um wenigstens das Betriebskostendefizit zu ver­ringern. Mieter dürfen jedoch nur aus dem Bereich der Weiterbildung kommen, da der rund zwölf Millionen Euro teure Bau mit zweckgebundenen Mitteln gebaut ist. Es gebe viele Interessenten, teilt die Entwicklungsgesellschaft mit. Jetzt wird die Idee diskutiert, die Designausbildung der Folkwang-Schule dort unterzubringen, für die es am angestammten Schulstandort in Essen-Werden zu eng ist.

Für die Entwicklung des Standortes als Designknotenpunkt wäre dies optimal. Zumal der Designzweig der Folkwang-Schule über das Sanaa-Gebäude hinaus Platzbedarf hat, der in der „Designstadt“ gedeckt werden könnte, dem zweiten „Attraktor“ des Masterplans. Vielleicht kann mit diesem Nutzer die besondere Architektur am Standort positiv wirken, zumal wenn die bisherigen Probleme der öffentlichen Zugänglichkeit und der Gebäudetechnik gelöst werden können.

Was bleibt, ist die Idee, auf Zollverein einen Ort für Weiterbildung, Qualifikation und Wissenstransfer zu schaffen. Das kann Technologien und Talente anziehen. Entwicklungswege der Städte sind zunehmend enger mit den Entwicklungswegen der Menschen vor Ort und der Hinzukommen­den verbunden. Diese brauchen Impulse, Möglichkeiten und Räume, um alte und neue Fähigkeiten und Kenntnisse zu entfalten. Nur das bringt Innovationen, die nachhaltig am Standort und darüber hinaus wirken. Funktioniert das am Ende doch noch, könnte die faszinierende Architektur von Sanaa tatsächlich zu einem Wahrzeichen für den Strukturwandel der Region werden.

Dipl.-Ing. M.A. Heike Oevermann, Berlin, lehrt und forscht über städtische Innovation.

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