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[ Stadtumbau Ost 1 ]

Rückbaukultur

Abrissland Ost - kein Raum für Architekten? Doch, gerade: Auch Schrumpfung will klug organisiert sein.

Destruktiv: Vordergründig erscheint die Schrumpfung Ost als bloßes Abbauprojekt.

Wolfgang Kil

Wir haben es endlich geschafft. Alles ist schon da; wir haben Gebautes genug. In manchen Gegenden sogar viel mehr als genug, besonders im Osten. Mit den „blühenden Landschaften“ hat es nicht so recht geklappt. Nach dem Milliardensegen der euphorischen Jahre gibt es nun Gewerbeflächen, Büroetagen, Einkaufszentren über jeden Bedarf hinaus. Experten vom Leipziger Institut für Länderkunde rechnen mit 8,6 Millionen Ostdeutschen im Jahr 2050, was grob gerechnet auf eine Halbierung der Bevölkerung seit 1990 hinausliefe.

Das zwingt Architekten und Planer, ihre Aufgabenfelder neu zu durchdenken. Da stadtpolitische Strategien bisher stets für ein Mehr ausgelegt waren, müssen für ein Weniger völlig neue Instrumente erfunden werden. Um schrumpfende Städte sozial und strukturell im Griff zu behalten, sind statt der bislang üblichen Zugewinnstrategien – dichter, höher, eleganter – jetzt Entdichtung, Verkleinerung, Entschleunigung gefragt. Man sollte es ruhig einen Paradigmenwechsel nennen – endlich Abschied nehmen von den Planungsdoktrinen eines Wachstums um jeden Preis!

Bisher wurden Architekten dazu erzogen, ihr Glück im Entstehen von Neuem zu finden. Nun sollen sie vorschlagen, was nicht geschehen oder was gar ersatzlos verschwinden soll. Keine gute Voraussetzung für die Meister der spektakulären Form. Statt Stildebatten rücken Sachanalysen in den Vordergrund. Schrumpfende Städte sind zuallererst Fälle für Verkehrs- und Infrastrukturplaner. Soziologen und Ökonomen bekommen wieder Vetorecht. Auch Landschaftsgärtner werden in großer Zahl gebraucht, denn es gilt, die entstehenden Brachflächen als zumutbare (und ­finanzierbare) öffentliche Räume neu zu definieren.

Unsere Profession braucht die Rückbesinnung auf ­etwas Unmodisches: auf soziale Kompetenz. Schrumpfungsregionen müssen die Brutalitäten des ungesteuerten gesamtökonomischen Strukturwandels ausbaden. Die Globali­sierung schafft sich neue „innere Peripherien“. Schrumpfungsprozesse planen heißt, Lebensbedingungen und Interessen von Verlierern wahrzunehmen und zu verteidigen. Wer sich zu den Gewinnern zählt, ist längst weg.

Abbau: Das Wegnehmen einer Stadt bedarf des Rates des Experten genauso, wie es ihr Aufbau einstmals brauchte.

In Zeiten des Wachstums gehörten Kräne, Baustellen, Richtfeste und Einweihungsfeiern zur heimatbildenden Sozialisation. In Schrumpfstädten erleben die weniger werdenden Bewohner den entgegengesetzten Prozess – leere Fensterhöhlen, vermauerte Erdgeschosse, einbrechende Dachstühle, Vandalismus, ruderale Verwilderung. Die vertrauten Winkel der bisherigen Biografie verschwinden. Obendrein verarmt das öffentliche Leben – erst werden Bahnhöfe, dann Bahnstrecken stillgelegt; Sparkasse und Post, Schule und Supermarkt machen dicht. Wenn dann auch noch die letzte Kneipe aufgibt, bleibt nur die Tankstelle übrig. Da soll man sich nicht wundern, wenn alle vom Abhauen träumen. In vielen ostdeutschen Städten ist wieder die alte Klage aus den 80er-Jahren zu hören: „Jetzt gehen alle, die noch was bewirken könnten. Keiner will der Letzte sein, der am Ende das Licht ausmacht.“

Stille Helden gesucht

Zu denen, die als Letzte das Licht ausmachen, sollten unbedingt Architekten gehören. Denn ohne Architekten, ohne Planerverstand wird es nicht gehen. Für die vielen unvermeidlichen und schmerzhaften Verluste bedarf es der Vorkehrungen, Veranstaltungen, Planungsverfahren und Realisierungsschritte, die den Betroffenen signalisieren, dass ihre Lebenszeit in und mit diesen Gehäusen nicht „umsonst und folgenlos“ war. Das Wegnehmen einer Stadt bedarf des Rates des Experten genauso, wie es ihr Aufbau einstmals brauchte. Das ist wie mit den Ärzten. Deren Beistand ist am Beginn eines Menschenlebens genauso vonnöten wie an dessen Ende. Und wenn wir die verwegene Parallele noch weiter strapazieren: Fehlt am Ende die sachkundige Begleitung – beim Menschen wie bei den Städten – dann wird ihnen kein Vergehen „in Anstand und Würde“ vergönnt, sondern bloß ein Verrecken.

Konstruktiv: In Leinefelde wurden aus Plattenbauten Stadtvillen (Stefan Forster Architekten, Frankfurt).

Die Auseinandersetzung mit vergehenden Städten ist ein Vorhaben von höchster Verbindlichkeit. Es setzt die Bereitschaft voraus, nicht nur Einstiegsdiagnosen oder flotte Masterpläne abzuliefern, sondern ganz direkt und persönlich an einem langen und mühseligen Prozess teilzunehmen. Die Aufgabe heißt nicht Beglücken, sondern Begleiten. Der nötige Motivationsschub gleicht jenem neuen Denken, das vor 30 Jahren die behutsame Stadterneuerung auf den Weg brachte. Und wie damals wird sich auch jetzt wieder ein Kreis von besonders kompetenten Meistern abzeichnen. Es sind stille Helden, zur Anonymität verurteilt, solange wir nur Preise für „schneller, höher, weiter“ zu vergeben haben. Es mag irrsinnig klingen, aber wir brauchen Prestige und Applaus für Häuser, die nicht mehr stehen.

Es ist die Aufgabe selbst, zu der wir als professionelle Gestalter ein positives Verhältnis finden müssen. Die Unausweichlichkeit, sich dem Wandlungsprozess zu stellen, gebietet, dass wir uns vor dem Loslassen nicht länger fürchten. Es soll uns das Abschiednehmen nicht ersparen, aber es darf auch als Ermutigung verstanden werden. Oder mit den Worten Omar Akbars vom Dessauer Bauhaus: „Wir denken, dass wir die Argumentation einfach umdrehen sollten. Nicht über das ‚Zuwenig‘ und den Verlust sprechen, sondern über das ‚Mehr‘ nachdenken: über den Raum, den wir mit den frei werdenden Flächen gewinnen – den Freiraum für Ideen, die wir noch gar nicht kennen.“

Dipl.-Ing. Wolfgang Kil ist freier Architekturkritiker und Publizist in Berlin.

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