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[ Baukulturen ]

Vom Dogma zum Diskurs

Es gibt eine Vielzahl von Baukulturen. Architekten sollten zwischen ihnen vermitteln, statt nur für die eigene Vorstellung zu kämpfen.

Stephan Willinger

Der Begriff Baukultur wird in der seit einigen Jahren aufkommenden Debatte oft mit einer Selbstverständlichkeit gebraucht, die eigentlich nicht der Realität des Planens und Bauens entspricht. Immer noch gehen Experten davon aus, dass sich die Baukultur klar definieren ließe – und zwar von ihnen. Dagegen zeigt die Praxis, dass die aufeinandertreffenden Vorstellungen der beteiligten Akteure nur schwer vereinbar sind. Ist es also heute tatsächlich noch richtig, von einem kulturellen Konsens auszugehen und seine Praxis an dieser Vorstellung auszurichten?

Meinen Architekten und Bauherren, Politiker und Bürger nicht jeweils grundsätzlich anderes, wenn sie über Qualität reden? Die auf solche Einwände übliche Antwort der Architekten lautet: Bewusstseinsbildung, Öffentlichkeitsarbeit. Doch diese Antwort basiert auf einem Gesellschaftsbild, in dem noch eine hierarchische Ordnung von Werten existierte. Und es jemanden gab, der diese Werte bestimmten Objekten zuwies.

Doch in den modernen Gesellschaften gilt heute eine Gleichberechtigung der Wertesysteme verschiedener sozialer Gruppen. Diese haben ihre eigenen Werte entwickelt und sind nur noch diesen verpflichtet. Man sollte deshalb eher davon ausgehen, dass auch die Baukultur (verstanden als Wertesystem für die Qualität der gebauten Umwelt) sich in eine Vielzahl von Baukulturen ausdifferenziert hat. Wenn man diesen Zustand nicht nur betrauern will, dann muss man Baukultur nicht monozentrisch definieren, sondern sie als ein plurales Phänomen verstehen.

Romantischer Kulturbegriff: Für Lieb­haber des unpräten­tiösen ­Traditionalismus eher die Zechensiedlung an der Dortmunder Bogenstraße (um 1915).

Belebtes „Niemandsland“

In der traditionellen Sicht von Baukultur kann diese von ihrem Gegenteil klar abgegrenzt werden. Quasi natürlich ergeben sich Zonen der Kultur und der Unkultur. So werden Tankstellen, Gewerbehöfe und periphere Einkaufszentren häufig als baukulturelles Niemandsland bezeichnet. Doch besteht nicht unsere Umwelt zu großen Teilen aus solchen Orten? Und haben nicht Thomas und Boris Sieverts längst gezeigt, dass dort einige Gruppen durchaus Qualitäten entdecken? Dann werden aber Klassifizierungen nach absoluten Maßstäben fragwürdig.

Und sind auch in der Praxis untauglich. Denn es fehlen Adressaten, die mit den Vorwürfen und Moralkodexen der einen Baukultur umgehen können und wollen. Wäre es da nicht besser, realistischer und übrigens auch theoretisch fundierter, Gewerbegebiete als Ausdruck ganz spezifischer Baukulturen anzusehen und damit auch zu akzeptieren, dass in der Gesellschaft nicht nur die eine, sondern eine Vielzahl von Baukulturen ganz legitim nebeneinander existieren? So könnte man allen Bereichen unserer Städte und Landschaften unvoreingenommen und mit großer Offenheit für die unterschiedlichen Lesarten begegnen.

Baukultur als Teil der Streitkultur

Die unterschiedlichen Baukulturen der heutigen Gesellschaft sind gebunden an die sozialen Gruppen. Diese se­hen eine Brachfläche entweder als Schandfleck (Politik), als Renditeobjekt (Makler), als Chance ökologischer Aufwertung (Naturschutz), als Spielfläche (Kinder) oder als neuen Lebensraum (Nichtsesshafte). Betrachtet man das Planen und Bauen aus dieser Perspektive, dann erscheint es nicht mehr vor allem als problematische Konfrontation mit Niemandsländern und Unwissenden, sondern als kommunikative Herausforderung. Man kann dann beobachten, wie die verschiedenen beteiligten Akteure die Welt, die Stadt und das einzelne Grundstück ganz spezifisch bearbeiten und sich dabei zunächst um andere Sichtweisen nur ganz selektiv zu kümmern brauchen. Wie der Züricher Städtebautheoretiker André Corboz schreibt: „Die städtische Verdichtung ist das Resultat einer Vielzahl von Entscheidungen, die alle vernünftig sind oder zur Vernunft tendieren, jedoch unterschiedlichen, miteinander konkurrierenden Arten von Vernunft gehorchen.“

Elitäre Baukultur: Die Management- und Designschule Zollverein in Essen (SANAA, 2007) erhielt höchstes Lob von Profis, stieß aber bei Laien eher auf Unverständnis.

Wenn es nun keine vorherrschende und eben auch keine legitimierte Bewertung mehr davon gibt, was als Baukultur zu gelten hat, so muss dies nicht zwangsläufig zur Beliebigkeit führen – im Gegenteil: Es bedeutet nur, dass Ar­chitektur nicht mehr einem übergeordneten Kanon folgen kann. Dieser Wandel kann als Verlust empfunden und von Trauerarbeit begleitet werden. Doch er findet statt – und die Fachdisziplinen haben nur die Wahl, sich mit den ­Realitäten auseinanderzusetzen oder ihnen hinterher­zuhinken.

Es ist wie mit dem Schock der Stadtplaner, als sie von den schrumpfenden Städten in Ostdeutschland erfuhren. Zunächst behalf man sich noch durch Ignorieren. Als das nicht mehr funktionierte, wurden Leitbilder und Modelle erzeugt, nach denen die Schrumpfung sich vollziehen sollte. Man verdammte die perforierte und feierte die „europäische“ Stadt und lief dabei doch einem Bild hinterher, das mit der Wirklichkeit der Städte, mit den Wünschen ihrer Bewohner und Eigentümer nicht mehr in Einklang steht. Erst nach mehreren Jahren und vielen verpassten Chancen entwickeln die Planer jetzt differenziertere Strategien für den Umgang mit den vielfältigen Ansprüchen und entdecken darin plötzlich neue Möglichkeiten.

Bedenkt man dies, so wird die Verwendung eines pluralistischen Baukulturbegriffs zu einer Bedingung für wirkungsvolle Aktivitäten im baukulturellen Feld. Eine Baukulturdebatte handelt dann nicht von Kultiviertheit, sondern von Entscheidungsprozessen zwischen gleichberechtigten Partnern, von demokratischen Strategien. Und Baukultur kann umso mehr Teil einer Stadtkultur werden, weil sie die Vielfalt des Streitens, Argumentierens, Entscheidens, Bauens und Nutzens in den Städten widerspiegelt – und damit die handlungsrelevanten Aspekte für das tägliche Leben.

Für die Architektur entsteht daraus die unmittelbare Herausforderung, sozial anschlussfähiger zu werden. Und es ergibt sich die Frage, inwieweit das berufliche Selbstverständnis des Architekten hemmend für solche kommunikativen Planungsstrategien ist. Wird doch an den Universitäten eine spielerische Welt des experimentellen Entwurfs erzeugt, in der die Originalität im Vordergrund steht und nicht das zweckorientierte Planen.

Mit der Vorstellung vom Entwerfen als künstlerischer Tätigkeit entsteht eine Abwertung des Laien. So fehlen bereits in den Übungen die relevanten Akteure. Zusätzlich verzerrend wirkt noch die mediale Konzentration auf die Produkte der Hadids, Gehrys und Koolhaases. All dies führt schließlich dazu, dass die Architektur sich abschottet und die Nutzer ausschließt: Qualitätsurteile werden nur Angehörigen des eigenen Berufsstandes zugebilligt. Gerade dies darf aber nicht geschehen, wenn der Planungsprozess als verständigungsorientierter Vorgang begriffen wird.

Populäre Baukultur: Das Fischteich-Viertel in Elmshorn (Axel Siemonsen, 1998) erfreut sich hoher Bürger­akzeptanz, gilt aber bei manchen Fachkollegen als populistischer Architekturunort.

Hilfe zur Alltagsbewältigung

„Wäre es nicht nahe liegend, mit Bauherren, Bewohnern und Benutzern über Architektur auf der Ebene ihrer primären Interessen zu kommunizieren?“, fragte jüngst der in Praxis wie Theorie gleichermaßen beschlagene Alban Janson. Und empfahl weiter: „Architektonischer Anspruch wäre dann nicht etwas Aufgesetztes, sondern die gestalterische Bewältigung des Alltäglichen. Die Verständigung mit den Benutzern würde den Architekten womöglich leichter fallen, wenn sie nicht nach dem Muster ‚Ich erkläre dir mein ästhetisches Konzept‘ abliefe, sondern eher nach der Art: ‚Ich zeige dir, dass du hier besonders schön sitzen und rausgucken kannst.‘

Anstatt allen Widerständen zum Trotz kunstvolle Gebäude durchsetzen zu wollen, die die Partner nicht mehr umsetzen können oder wollen, sollte man vielmehr dazu beitragen, eine auf die konkrete Situation abgestimmte Architektur zu entwickeln. Die Verhandlungen mit den anderen beteiligten Akteuren dienten dann nicht mehr der Durchsetzung einer formalen Lösung, sondern die Form diente als Medium der Verhandlung und Ver­mittlung mit dem Ziel, ein Haus oder eine Stadt zu bauen. Mit welchen Mitteln der Verräumlichung diese Qualitäten erzielt werden und welches architektonische Konzept dahintersteckt, dies bliebe weiterhin den Architekten vorbehalten.

Dipl.-Ing. Stephan Willinger ist Raumplaner in Bonn.

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