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[ Querstreber ]

Nun mal ehrlich

Menschliche Körper sollten so nackt sein wie menschliche Bauten.

Kleidermode und Sichtbeton: Die architektonische Haute Couture.

Roland Stimpel

Ehrlichkeit zählt am Baukörper viel mehr als am menschlichen. Material, Konstruktion, Statik, Bauweise, Bauzeit – im Idealfall ist alles ablesbar. Am eigenen Körper tarnen, schummeln und schwindeln wir, bis der Bestatter kommt. Die Leute färben sich die Haare: in jüngeren Jahren Verstoß gegen das elterliche Urheberrecht, später Verleugnung der ergrauten Zeitgenossenschaft. Erwachsene duschen nach dem Dauerlauf, greifen gar zum Duftöl: olfaktorische Verkitschung. Ältere tragen Flohmarktklamotten, die aus ihrer Jugend sein könnten: reaktionärer Historismus. Wer in der Notunterkunft residiert, gebraucht den Läusekamm: soziale Segregation. Amputierte tarnen Verluste mit Prothesen: geschichtsverleugnende Rekonstruktion. Wird Zeit, dass sie alle von der architektonischen Ehrlichkeit lernen.

Deren Nonplusultra ist der Sichtbeton. Der hat seine natürliche Matschfarbe, zeigt die Schalungsspuren seiner Geburt und den Nabel, wo damals die Anker steckten. Sein Altern tarnt er gar nicht erst, sondern dunkelt nach, trägt stolz den Dauerrotz der Schmutznasen, lässt morsche Kanten brechen, kriegt runzlige Risse und präsentiert Spätfolgen von Geburtsschäden als ehrliche Ausblühungen und ­Armierungspiercings.

In der Kleidermode gibt es immerhin eine sommerliche Sicht­betonfraktion. Damen zeigen zugbeanspruchte BH-Träger, an blassen Hautstreifen die Verschalung des zuvor getragenen Hemds und den Schalungsankernabel. Herren präsentieren am Bierbauch ­dessen volle Wandstärke und die wichtigste Nutzung. An ihren tragenden Wadensäulen kräuselt sich authentisches Haar. Doch jetzt ist Herbst in der Mode wie am Bau. Spießer machen sich breit – Leute mit dem heuchlerischen Verlangen, Rohbauten so zu tarnen wie den eigenen Körper, mit Farb- und Putzschminke, vorgeblendeten T-Shirts, verbrecherischen Ornamentschlipsen, ausgebeulten Energiesparanoraks.

Wir setzen auf Deutschlands neue Nobelpreisgenies. Die sollen mit Gen-, Energiespar- und Membrantechnik den neuen, ehrlichen Menschen schaffen. Der friert nicht mehr und trägt allenfalls ein ­filigranes Kleid, das nichts mehr verbirgt.

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