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Berlin: Veredelt, roh oder farbenfroh
Text: Heiko Haberle
Mit ganz wenig Geld bauten Praeger Richter Architekten ihr „Ausbauhaus“ für eine Baugruppe in Neukölln. Die regalartige Konstruktion aus Fertigteilen, eine herkömmliche WDVS-Fassade und der Verzicht auf alles Unwesentliche halfen dabei. Die Einheiten wurden als Rohbau, Loft oder Wohnung angeboten. Das „Loft“ mit Estrichboden, Sichtbeton, Heizkörpern, Aufputz-Leitungen und eingestellter Bad-Box kostete nur 1.145 Euro pro Quadratmeter (KG 300-400). Die „Wohnung“ mit Zwischenwänden, Leitungen unter Putz, gespachtelten Oberflächen und Parkett nur 150 Euro mehr. Obwohl im zweiten Stock, wähnen sich beim Besuch im Loft-Typ dann selbst Hartgesottene zuerst in einer Garage – bedingt durch Beton, Neonröhren und einen raumhohen Rollladen, der wohl eine Abstellkammer verbirgt. Doch die zehn Meter Deckenspannweite bei drei Metern Raumhöhe und vor allem die riesige Loggia erzeugen schon nach wenigen Schritten ein lichtes und durchaus wohnliches Gegenbild.
Ausbauhaus: Die Bewohner konnten sich zwischen drei unterschiedlich weit ausgebauten Typen entscheiden: Selbstausbau, Loft oder Wohnung.
Wie lange solche Experimente noch möglich sein werden, ist fraglich, denn Baugruppen seien wegen steigender Grundstückspreise eine „aussterbende Art“, berichtet Christoph Roedig vom Büro roedig schop bei der Führung durch das Wohnhaus an der Heinrich-Heine-Straße . Das steht im früheren Mauerstreifen zwischen Mitte und Kreuzberg, wo es noch vor zehn Jahren Grundstücke für unter 200.000 Euro gab. Die Baugruppe zahlte schließlich schon mehr als das Vierfache und verzichtete folglich auf einen Gemeinschaftsraum. Die geplante Dachterrasse wich einem Penthouse. An der Architektur sind jedoch kaum Sparzwänge erkennbar. Statt WDVS-Fassade gibt es viel Glas und Aluminium. Die Straßenseite kann mit verschiebbaren Tafeln aus Streckmetall verschattet werden. Die Gartenfassade besitzt große Balkone. Trotz Pragmatismus ist man engagiert: So verhinderte man, dass nebenan ein Flachbau-Discounter mit Parkplatzwüste entsteht. Das erschwerte allerdings den Bauprozess, weil sich nun auch der Kran an die Grundstücksgrenze halten musste und bei herumliegenden Gegenständen eine Abmahnung drohte. Der Stadt wird diese Standhaftigkeit sicher guttun und bisweilen erfreut das in Auftrag gegebene farbenfrohe Wandbild der Künstlergruppe various&gould.
Heinrich-Heine-Straße: Die Baugruppe errichtete ihr Haus im ehemaligen Mauerstreifen.
Viel Farbe verbirgt sich auch hinter dem Schuppenkleid der gerade erst eröffneten „Botschaft für Kinder“ des SOS Kinderdorfs. Hier, unweit des Hauptbahnhofs, stapelten Ludloff Ludloff Architekten hinter einer Fassade aus Holztafeln und Sonnenschutzelemnten eine wahrlich bunte Mischung aus Funktionen: ein Ausbildungsrestaurant, darüber ein Konferenzsaal, dann Verwaltung und schließlich zwei Etagen für ein Ausbildungshotel samt Dachbar. Überall finden sich kräftige Farben, sanfte Schwünge und interessante Materialien: Da ist der dunkelblau gestrichene Akustikputz im Restaurant, eine gelbe Sitznische im Konferenzsaal, In den Treppenhäusern ein einfaches Geländer aus dem Wohnungsbau der Nachkriegsmoderne, dafür aber im Foyer ein Handlauf aus Holz. Da sind einzelne Glasbausteine in der Wand der Bibliothek und die Möbel der Hotelzimmer, die in einer SOS-Einrichtung nach Entwürfen der Architekten gebaut wurden. Das alles überspielt geschickt, dass auch dieses Haus einfach und handfest ist. Die Konferenztechnik mit all ihren Kabeln ist an der Decke sichtbar, aber durch ein weißes Gitter mit ovalen Ausschnitten verschleiert. Außer in den Tagungsräumen wird per Hand gelüftet. Und wer Sonnenschutz braucht, öffnet das Fenster, packt eine der textilen Schuppen an ihrem riesigen Griff und verschiebt sie. So macht Haustechnik Spaß!
Das Restaurant im Erdgeschoss überzeugt mit Materialkombinationen von Holz, Sichtbeton und Akustikputz, mit roten und blauen Flächen sowie geschwungenen Formen.
Essen: Von der Wurst- zur Denkfabrik
Text: Stefan Kreitewolf
„Früher hingen hier die Schweinehälften von der Decke“, erzählt Dieter Homscheidt. Der 72-jährige pensionierte Metzger ist nach 22 Jahren Abwesenheit zum ersten Mal zurück an seinem ehemaligen Arbeitsplatz. Bis 1985 arbeitete er in der traditionsreichen Essener „Julius Lind Fleischwarenfabrik“ im Mathildenhof. Seither ist viel passiert. Der Strukturwandel hat das Ruhrgebiet verändert. Das Viertel ist heute Hort der Kreativen. Die Wurstfabrik steht noch. Einzig: „Das Haus ist kaum wiederzuerkennen, aber sehr schön“, sagt Homscheidt.
Das ist der Verdienst von Thomas Hannemann. Der Architekt, der den 16-monatigen Umbau in Abstimmung mit Bauherr Arno Sousa durchführte, hat mitgehört. „Dort wo früher die Schweinhälften hingen, ist heute ein lichtdurchflutetes Atrium“, sagt er. „Neben den einstigen Räucherräumen arbeiten heute junge Werber.“ Für Hannemann, der nach der Fertigstellung des Gebäudes im Frühjahr 2016 selbst mit seinem Büro in den Mathildenhof zog, war das Projekt eine echte Herausforderung. „Vieles konnte nur Stein für Stein abgetragen werden“, berichtet der Architekt. Das Gebäude liegt mitten in einem Wohngebiet. Hinzu kommt: „Bei den Arbeiten tauchten immer wieder Räume auf, von denen niemand etwas wusste und die auf keinen Plänen eingezeichnet waren“, sagt Hannemann.
Die alte Fabrik, die Bauherr Sousa erstmals im Februar 2012 im Halbdunkel mit der eigenen Taschenlampe besichtigte, ist im neuen Gewand auf Begegnung angelegt. „Wir haben alles zu Licht gemacht, was es gab, und sogar die alten Lüftungsluken zu Oberlichtern ausgebaut und kleine Gebäudeteile abgerissen“, erzählt Hannemann. Zentrale Themen beim Umbau seien neben Licht, Luft und Kommunikation gewesen.
Das passt: Alle acht Büros gehen von dem großen Gemeinschaftsraum ab. Auf 820 Quadratmetern Fläche gibt es sowohl Einzelbüros als auch Co-Working-Spaces. Die große Küche und der Konferenzraum sind offen für alle Mieter. Jedes Büro hat eine eigene Terrasse. Sousa, der insgesamt 1,6 Millionen Euro investierte, erklärt: „Die acht Mietparteien sollen ganz bewusst eine kreative Gemeinschaft bilden.“ Von der Wurst- zur Denkfabrik, das wollten am Tag der Architektur viele Besucher sehen. Während der dreistündigen öffentlichen Begehung waren der Hinterhof und das Gebäude mit circa 200 Besuchern gut besucht.
Homscheidt, der per Zufall am Tag der Architektur den Weg zu seinem ehemaligen Arbeitsplatz fand, ist beeindruckt. „Für mich ist das ein wahrer Feiertag“, sagt er und muss weiter. Er ist Besucher und Insider zugleich. Und die nächste Gruppe möchte Geschichten aus der alten Zeit hören. Und prompt hängen zehn Menschen an seinen Lippen, während er von Schweinehälften erzählt. Das gibt es so nur zum Tag der Architektur.
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