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[ Planungskulturen ]

Große Moschee Algier: deutsche Architektur in fremder Kultur

Als Architektin oder Architekt auf inter­nationaler Ebene zu arbeiten, bedeutet nicht ­selten, mit einem Verständnis vom Bauen zu tun zu haben, das sich vom eigenen deutlich unterscheidet. Der Architekt Jürgen Engel hat bisher viele Projekte rund um den Globus realisiert, jüngst die drittgrößte Moschee der Welt. Mit ihm haben wir über seine ­Erfahrungen auf der globalen Architekturbühne gesprochen

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Kulturbau in fremder Kultur“ im Deutschen Architektenblatt 03.2021 erschienen.

Von Thomas Geuder

Zur Bewältigung von Großprojekten bedarf es heutzutage meist eines internationalen Netzwerks aus Architekten, Fachplanern und Bauausführenden. Sie zu koordinieren, mag bei Projekten im eigenen Land, wo die Rechtslage und auch die Gepflogenheiten bestens vertraut sind, noch gut funktionieren. Komplexer wird es bei Beauftragungen in anderen Ländern, etwa wenn Zuständigkeiten grundsätzlich anders gehandhabt werden oder das dortige Baurecht eine Herausforderung ist. Mit den Nuancen des Bauens in unterschiedlichen Ländern kennt sich der Frankfurter Architekt Jürgen Engel aus. Bei seinem Projekt der Ende 2020 eröffneten Großen Moschee in Algier gab es Projektbeteiligte aus China, Frankreich, Kanada und natürlich Algerien. Sie alle brachten ihre ganz eigene Expertise mit, was das Projekt letztlich zu einem interkulturellen Gemeinschaftswerk macht.

Vom Moschee-Wettbewerb bis zur Überwachung

Der öffentliche Bauherr, die dem Bau- und ­Religionsministerium unterstellte Agence ­Nationale de Réalisation de Gestion de la ­Mosquée d’Algérie, hatte aus dem Vorhaben von Beginn an eine internationale Angelegenheit gemacht. Den geladenen internationalen ­Wettbewerb für den architektonischen Entwurf mit 17 Teilnehmern konnte das Architekturbüro KSP Engel (ehemals: KSP Jürgen ­Engel Architekten) im Januar 2008 für sich entscheiden. Als Arbeitsgemeinschaft mit dem ebenfalls ­international erfahrenen Ingenieurbüro Krebs+Kiefer International erhielt es den Auftrag für die Generalplanung.

Nicht nur Ideengeber, sondern bis Leistungsphase 8

Das beinhaltete alle Leistungsphasen nach HOAI von 1 bis 8. „Die Bauleitung war für uns wichtig“, betont Jürgen Engel. „Ein anderes Planungsbüro ­hätte sich mit dem Bauwerk vielleicht nicht so identifizieren können oder vielleicht nicht das bautechnische Niveau gewährleisten können. Wir haben immer den Anspruch, den gesamten Planungs- und Bauprozess zu erbringen. Wenn wir in Algier nicht selbst die Ausführungsplanung und die Ausschreibung gemacht hätten, wäre die Qualität der Ausführung sicher nicht erreicht worden.“

Moschee mit Projektpartnern aus China und Kanada

Die Bedeutung des Projekts für das Land war groß: Nur wenige Monate nach der Wettbewerbsentscheidung fand die Vertragsunterzeichnung im Beisein der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und des damaligen algerischen Präsidenten Abd al-Aziz Boute­flika statt. Für die Bebauung der Bruttogrundfläche von rund 400.000 Quadratmetern (bebaute Grundfläche: 93.000 Quadratmeter) suchte der Bauherr nun per Ausschreibung eine Baufirma mit mindestens einer Milliarde Euro Jahresumsatz. Den Zuschlag für die Realisierung erhielt schließlich ein chinesischer Generalunternehmer, genauer gesagt die algerische Tochter der größten Baufirma des fernöstlichen Landes, die zentral verwaltete China State Construction Engineering Corporation, kurz CSCEC.

Engel zu der Entscheidung: „Mit der CSCEC haben wir bereits in China gebaut. Wir kannten uns also gut und wussten, worauf wir bei der Detailplanung und der Objektüberwachung achten mussten.“ Die Projektsteuerung übernahm das ­Büro Dessau, damals eines der fünf größten Ingenieurbüros Kanadas, das vor allem seine frankokanadische Sprachkompetenz einbringen konnte.

Algerischer Vertrag basierend auf französischem Recht

Die Projektsprache war nicht Algeriens Amtssprache Arabisch, sondern Französisch, ein Erbe der Kolonialzeit und noch heute eine wichtige Bildungs-, Handels- und Verkehrssprache im Land. Entsprechend waren die Verträge und Pläne auf Französisch verfasst. Der Vertrag selbst ähnelte einem Werkvertrag, wie man ihn aus Deutschland oder Europa kennt, aufgesetzt jedoch „nach algerischem Recht, das aber nahezu identisch mit dem französischen ist“, beschreibt Engel. „Auch hier wird ein Erfolg geschuldet. Auch die Haftung ist vergleichbar mit europäischen Regelungen.“

Bauleitung endet vor Fertigstellung wegen zeitlicher Befristung im Vertrag

Eine der wohl eher kritischen Vertragskonditionen für KSP Engel war die Laufzeit: Algerische Verträge enden üblicherweise nicht mit der erledigten Bauaufgabe, sondern nach Ablauf der vereinbarten Frist. Das hat zu der Kuriosität geführt, dass KSP Engel die Bauleitung nicht zu Ende führen konnte. „Das war für uns schmerzhaft“, erzählt Engel, „aber unser zeitlich befristeter Vertrag hätte verlängert werden müssen. Die politische Konstellation sprach zu diesem Zeitpunkt dagegen. Wir sind aber mit dem Bauherrn in Kontakt geblieben – und sind es auch bis heute.“ Das Projekt war von KSP Engel jedoch genau definiert, die Ausführung hat sich weitgehend daran gehalten.

Europäische Normen festgeschrieben

Einer der Vorteile im Vertrag war die Vorgabe, dass die Planung einvernehmlich nach europäischen Normen erfolgen sollte. Bei Fragen der Erdbebensicherheit wurde sogar Neuland betreten und auch ein internationales Expertengremium zur Begutachtung der baulichen Konzeption bemüht, damit die algerischen Behörden die Genehmigung erteilen konnten. Vereinbart wurde außerdem, möglichst Materialien aus Algerien einzusetzen. KSP Engel hat das in der Planung zu berücksichtigen versucht, dennoch konnten viele nicht verwendet werden, weil eine internationale Zertifizierung oder Zulassung schlicht fehlte. Zudem war die algerische Bauwirtschaft kaum in der Lage, die notwendigen Materialien und Produkte zu liefern.

Lokale Materialien nicht zertifiziert

Engel nennt ein Beispiel: „Wir wollten gerne einen algerischen Naturstein verwenden. Leider war es aber nicht möglich, die benötigten Mengen in der zur Verfügung stehenden Zeit aus den wenigen infrage kommenden Steinbrüchen zu erhalten. Daher kam dann der Stein am Ende aus Italien und der Türkei. Zu unserem Bedauern ist die Chance, mit diesem großen Projekt auch einen Schub für die lokale algerische Bauwirtschaft zu erzeugen, leider nicht genutzt worden.“ Und Engel weiter: „Wenn die offizielle Seite in Algerien hier etwas pragmatischer gewesen wäre, hätten wir viele lokale Produkte leichter verwenden können.“

Viel Abstimmungsbedarf in interkulturellen Teams

„Eine gute Entwurfs- und Ausführungsplanung ist für ein solches Gebäude extrem wichtig, um im weiteren Planungsprozess die Kontrolle über die Qualität der Architektur zu behalten. Sie ist die Basis für den oft sehr fordernden Abstimmungs- und Realisierungsprozess.“ Damit beschreibt Jürgen Engel zwar, was im Grunde für jedes Bauprojekt gilt. Bei der Großen Moschee in Algier mit den internationalen Teams jedoch besonders: Der algerische Bauherr wollte ein Jahrhundertbauwerk erhalten. Sein Anspruch waren Dauerhaftigkeit und internationale Vergleichbarkeit. Deshalb kontrollierte er die Gestaltungsqualitäten hinsichtlich der Oberflächenmaterialien und der Ausführung der traditionellen Elemente wie der Kalligrafien und zog dafür sogar (auch politisch besetzte) Gestaltungsgremien hinzu.

Interkulturell verständliche Planung wichtig

Die deutschen Büros wiederum gestalteten ihre Planung so, dass sie auch von Ingenieuren und Bauarbeitern verstanden wird, die mitunter ein anderes Verständnis vom Bauen mitbringen, als man es in Europa kennt. Auch auf die Material- und Ausführungsqualitäten hat das deutsche Team ein genaues Auge geworfen – und sich bei aller Notwendigkeit damit natürlich nicht immer Freunde gemacht. „Letztendlich haben wir einmal mehr gesehen, wie wichtig es ist, von Anfang an eine gewisse Robustheit und Klarheit in der Entwurfsidee zu haben“, ergänzt Engel. „Dadurch lassen sich viele Hürden im Projektverlauf besser nehmen.“ Geholfen haben immer wieder auch die deutschen Botschafter, die die Planerinnen und Planer sogar zu Besprechungen begleitet haben, wenn es etwa Schwierigkeiten in der Kommunikation mit den staatlichen Stellen gab. „Dafür sind wir sehr dankbar“, resümiert Engel.

Mut zur Improvisation und pragmatische Lösungen

Auch was den Bauablauf angeht, mussten sich die Architekten auf Unterschiede einstellen. Für Engel ist das Arbeiten im Ausland immer auch eine Entdeckungsreise: „Die Erfahrung der Improvisation auf der Baustelle war für mich zunächst eher ungewöhnlich.“ So wurden etwa Hilfsmittel wie Abstandhalter für die Bewehrung in Form von Miniatur-Betonwürfeln und kunstvolle Gerüstkonstruktionen selbst entwickelt oder auch Eis in den Restaurants der Stadt zusammengesucht, um damit die Verarbeitungstemperatur des Betons zu verringern. „Vieles wurde eben auf dem kurzen, pragmatischen Weg gelöst“, erinnert sich Engel. Bemerkenswert war zudem die Improvisationskunst der chinesischen Bauarbeiter, die ihr Leben auf der Baustelle erstaunlich gut organisierten und zwischen Betonstützen, Aussichtsplattformen und Unterkunftsbaracken Gemüse- und Kräuterbeete anlegten.

Zu viele Normen bremsen die Freiheit

Wer den Verlauf eines solchen Projekts erlebt hat, fragt sich womöglich, ob das Bauen hierzulande eventuell zu kompliziert geworden ist. In Schwellenländern kann der Mut zur Improvisation aus einem Mangel heraus notwendig sein. „In Europa“, sinniert Engel, „sind wir durch die vielen Möglichkeiten wieder zu sehr eingeschränkt. Außerdem gibt es (in Deutschland) zu viele Normen und Vorschriften, die verhindern, kostengünstig zu bauen.“ Fehlt hierzulande also die Freiheit, Neues zu erdenken?

Moschee macht europäische Perspektive bewusst

Für den weltweit tätigen Architekten, dessen Büro auch Pate im Netzwerk Architekturexport ist, ist jedenfalls das Eindenken in fremde Sichtweisen eine Bereicherung: „Die Arbeit im Ausland ist keine Einbahnstraße. Wir bringen unser Know-how in ein Land und tauschen mit den Fachleuten dort unser Wissen aus. Dadurch bringen wir die Denk- und Arbeitsweisen sowie die Ideen wieder mit zurück. Insofern ist es wichtig, den Austausch auch auf internationaler Ebene zu suchen.“ Diese Flexibilität im Geiste – so spürt man im Gespräch mit Jürgen Engel – ist ein wichtiger Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit der Arbeit von Architekten und Architektinnen in Deutschland, Europa und auf der ganzen Welt. Letztendlich auch, um die Qualität der Architektur und damit die Baukultur an sich immer wieder voranzutreiben.


Grundriss und Querschnitt der großen Moschee in Algier

Die Große Moschee von Algier: der Enwturf

Die „Djamaâ el Djazaïr“ (arabisch: Moschee von Algier) ist die drittgrößte und somit künftig eine der wichtigsten Moscheen der Welt. In Zahlen: Bis zu 36.000 Menschen finden im Gebetssaal Platz, im Gesamtkomplex 120.000 Menschen. Das Minarett, 265 Meter hoch, ist das höchste der Welt und obendrein das höchste Hochhaus Afrikas. Die Kuppel des Gebetssaals misst an der Basis einen Durchmesser von 50 Metern und am Scheitelpunkt eine Höhe von 70 Metern. In der Bucht von Algier bildet die Anlage eine weithin sichtbare Landmarke als neues Wahrzeichen – mittlerweile auch auf dem 1000-Dinar-Geldschein des Landes zu sehen.

Mit der Entwurfsidee möchten die Architekten eine möglichst klare Antwort auf den durchaus heterogenen Ort liefern. So basiert der 600 Meter lange Komplex auf vier aneinandergereihten, je 150 x 150 Meter großen Quadraten, die eine hierarchisierte, nach Mekka ausgerichtete Raumfolge bilden: Nach dem Platz mit den Eingangskolonnaden (Loggia) und dem Blick zum Meer folgt der Vorplatz (Esplanade), der überleitet zu den sakralen Nutzungen des Vorhofs (Cour) und schließlich des Gebetssaals (Salle de Prière). Ein Sockel mit Tiefgarage für 4.000 Fahrzeuge bildet die gemeinsame Basis. Das architektonische Leitmotiv der Moschee ist eine schlanke, floral anmutende Säule mit prägnantem Kapitell, entwickelt nach dem Vorbild der in Afrika heimischen Zantedeschia-Pflanze. In schier unzähliger Wiederholung – es sind 618 Stück – sind die bis zu 45 Meter hohen Schleuderbetonsäulen das gestalterische Verbindungselement, gleichzeitig gliedern sie die Räume.

Das Bauwerk soll auch den Leitfaden für künftige Moscheebauten liefern: Als Freitagsmoschee ist es nicht nur religiöser Mittelpunkt, sondern folgt zudem der Tradition einer Moschee als Zentrum des sozialen und gesellschaftlichen Lebens. Innerhalb des Komplexes befinden sich Geschäfte, Teestuben und eine Cinemathek mit vier Vorführungssälen. Das aus der Mittelachse herausgerückte Minarett gleicht als erstes Minarett der Welt einem modernen Hybridhochhaus und beherbergt ein Museum für islamische Kultur mit Forschungszentrum, Bürobereiche und Skylobby. In der verglasten Turmspitze befindet sich außerdem eine Aussichtsplattform. Ein Park führt zu einem Kongresszentrum, einer großen Bibliothek und einer theologischen Hochschule, die ebenfalls Teil des Gesamtkomplexes sind.


Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt International.

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