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Holzbau in Betongebäude

Auch flosundk haben die Kita Christkönig in Saarlouis in den Kirchenraum hineingestellt. (Klicken für mehr Bilder)

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Kirchen werden zu Kitas: Umnutzung statt Abriss

Die Umnutzung von Kirchen ist eine Herausforderung: Zur Wertschätzung der oft denkmalgeschützten Architektur gesellt sich der Anspruch an eine Nachnutzung, die den Sakralraum würdigt. Kitas eignen sich dafür hervorragend – wie drei Beispiele in Hagen, Saarlouis und Hamburg zeigen

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Kleine Kinder in großer Architektur“ im Deutschen Architektenblatt 02.2022 erschienen.

Von Simone Hübener

Eigentlich sollte die Martin-Luther-Kirche in Hagen heute nicht so aussehen. Aufgrund des ungewöhnlichen Projektverlaufes kam es anders. Ellertmann Schmitz Architekten hatten sich über eine öffentliche Ausschreibung für die Ausführungsplanung und Realisierung eines bereits beschlossenen Entwurfs beworben. Da dieser vorsah, stark in die vorhandene Substanz einzugreifen, und damit den ursprünglichen Charakter des Sakralbaus teils zerstört hätte, reichte das Büro kurzerhand einen eigenen Vorschlag ein. Dieser geht mit dem nach Plänen von Gerhard Langmaack errichteten Bau aus dem Jahre 1962 sehr ­behutsam um und überzeugte die Verantwortlichen. Sie beauftragten deshalb das Münsteraner Büro rückwirkend mit den ­Leistungsphasen 1 bis 4. Da sich das geplante Haus im Haus großteils unabhängig vom Bestand planen ließ und es als Modulbau vorgefertigt werden sollte, ließ sich der Zeitplan trotz dieser Änderung sehr gut einhalten.

Umnutzung 1: Martin-Luther-Kirche Hagen

Seit 2011 stand die Martin-Luther-Kirche leer, vier Jahre später wurde sie profanisiert und ging 2016 in den Besitz der Stadt Hagen über. Ende 2019 zog mit der Kita Kolibri und ihren bis zu 100 Kindern unterschiedlichster Herkunft wieder Leben ein. Die Kita zeigt sich als dezenter zweigeschossiger Baukörper mit weißer Lärchenholz-Lattung, die die Holzverkleidung der ehemaligen Orgelempore referenziert, und einem Satteldach, das die Form des Kirchendachs aufnimmt. Die „Arche“ ist in Holzrahmenbauweise mit mineralischer Dämmung errichtet und thermisch vom Kirchenschiff getrennt. Große Fensteröffnungen und zahlreiche Dachflächenfenster lassen viel Licht in den Innenraum und sorgen für eine freundliche und helle Atmosphäre.

Arche im Kirchenschiff

Um die geforderten Helligkeitswerte zu erreichen, mussten die Buntglasfenster im Chorbereich durch solche mit Klarglas ersetzt werden. Die alten Fenster haben Ellertmann Schmitz als Wand­installation an den Altarwänden anbringen lassen, wodurch sie heute sogar noch besser erlebbar sind als zuvor. Im Erdgeschoss der Arche ordnete das Architektenteam die Personalräume, das Leitungsbüro sowie einen Gruppen- und den Mehrzweckraum an. Dieser lässt sich großflächig zum ehemaligen Altarbereich hin öffnen, wodurch eine geräumige Fläche für Veranstaltungen oder andere Aktivitäten entsteht. Die weiteren Gruppen- und die Nebenräume befinden sich im Obergeschoss, das über eine neue Treppe direkt mit dem Garten verbunden ist. So entstand mit wenigen, gezielten Eingriffen in die denkmalgeschützte Substanz eine Kita, die in Funktion und Aufenthaltsqualität überzeugt und gleichzeitig dem Bestand Respekt zollt.

 

Umnutzung 2: Christkönig-Kirche in Saarlouis

Ein Jahr vor der Kita Kolibri wurde in Saar​­louis die zweigruppige Kinderkrippe Christkönig in der gleichnamigen Kirche eröffnet. Das Team von flosundk, das den 2012 ausgelobten Wettbewerb für sich entscheiden konnte, setzte dabei gleichermaßen auf das Haus-im-Haus-Prinzip – ebenfalls mit viel Feingefühl für den Bestand und gleichzeitig einem materiellen Kontrast. Die eingestellte Holzbox vermittelt Behaglichkeit und Wärme und greift die Brettschalung der in Sichtbeton errichteten, denkmalgeschützten Kirche auf.

Holz trifft Brutalismus

Während des gesamten Planungs- und Bauprozesses stand das Saarbrücker Büro in engem und sehr persönlichem Austausch mit dem damals schon über 90-jährigen Günter Kleinjohann, nach dessen Plänen der Bau von 1966 bis 1968 errichtet worden ist – sicherlich eine der Besonderheiten dieses Projekts. Insbesondere der größte Eingriff in die Substanz wurde eng mit ihm abgestimmt. Um mehr Tageslicht in den Innenraum zu holen, waren neue Fassadenöffnungen im bis dato komplett geschlossenen Erdgeschoss nötig. Alle Beteiligten favorisierten die Variante mit zurückhaltenden, rechtwinkligen Einschnitten, die sich an den Eingangstüren der Sichtbetonkirche orientieren. Günter Kleinjohann kommentierte wie folgt: „Es wird nicht besser, als es vorher war, denn die Kirche war perfekt. Aber es ist schon ganz schön, was ihr da macht!“

Rückbau der Kitabox möglich

Beim Einbau der neuen Kitabox in die zwölf Meter hohe Kirchenhalle legten die Architekten großen Wert darauf, dass sich alles möglichst einfach wieder zurückbauen lässt und die Kirche in einigen Jahrzehnten gegebenenfalls erneut anders genutzt werden kann. Da das Gebäude komplett unterkellert ist und die Decke über dem Untergeschoss die Last des neuen Einbaus nicht hätte tragen können, musste diese über neu eingebaute Stahlstützen auf die Bodenplatte abgetragen werden. Die als Stahlkonstruktion konzipierte Kita ist statisch an diesen neu eingebauten Stahlstützen aufgehängt. Der originale Bodenbelag aus unterschiedlich großen Schieferplatten blieb erhalten und passt sowohl bestens zum Sichtbeton der Außenmauern als auch zur Fichtenholz-Verschalung der neuen Kita.

Möglichst wenige Eingriffe an der Kirche

Küche, Speisesaal, Nebenräume und Verwaltung finden in einem neben der Kirche platzierten, lang gestreckten Neubau ihren Platz. Da auf dem Gelände zusätzlich zur Kinderkrippe ein Kindergarten mit knapp 100 Plätzen entstehen sollte, wäre der Platz in der Kirche sowieso zu klein gewesen. Die Verlagerung der installationsintensiven Räume in den Neubau schützt die Kirche vor weiteren, irreversiblen Eingriffen. Deren Qualitäten und Besonderheiten lassen sich deshalb bis heute erleben und spüren. Besonders gut gelingt dies vom 250 Quadratmeter großen Spieldeck auf dem Dach der neuen Kinderkrippe aus.

 

Umnutzung 3: Frohbotschaftskirche Hamburg

Architektonisch und funktional gänzlich anders präsentiert sich die umgenutzte Frohbotschaftskirche im Hamburger Stadtteil Dulsberg, deren Umbau und Sanierung ebenfalls 2019 fertiggestellt wurde. Dort finden nach wie vor Gottesdienste statt und neben einer Kita mit 60 Plätzen zog auch das ehemals benachbarte Gemeindehaus in die Kirche ein. Die im Zweiten Weltkrieg zerstörte und von 1952 bis 1955 nach Plänen des Architekten Friedrich Dyrssen wiederaufgebaute Saalkirche war vom Abriss bedroht. Zum einen ließ sich der Unterhalt aufgrund der immer weniger werdenden Kirchgänger nicht mehr finanzieren, zum anderen war sie baulich in einem schlechten Zustand.

Vor dem Abriss bewahrt

Dank des Widerstands und Engagements der Bevölkerung und der Denkmalbehörde beauftragte die Kirchengemeinde Dulsberg im Jahr 2012 WRS Architekten & Stadtplaner mit einer Machbarkeitsstudie. Sie ergab, dass das Gebäude dann erhalten werden könne, wenn alle drei Funktionen, also Sakralraum, Kita und Gemeindehaus, unter dem Kirchendach vereint würden. Nachdem auch die Frage der Finanzierung geklärt war, begann das Architektenteam mit der Detailplanung. 2015 starteten die Bauarbeiten.

Zuerst wurde das Kirchenschiff entkernt. Nachdem mit der Pfahlgründung für die beiden einzubauenden frei stehenden Kuben alles vorbereitet war, wurden diese als Mauerwerksbauten drei Geschosse hoch im Innern der Kirche errichtet. Mit den weißen Außenseiten griffen die Architekten die Farbe der Kirchenmauern auf und setzten an den beiden sich gegenüberstehenden Stirnseiten einen farbigen Akzent: Diese beiden Flächen sind mit goldgelben, unterschiedlich breiten Filzstreifen belegt, die gleichzeitig für eine gute Raumakustik sorgen.

Großes Raumprogramm

Für eine bessere Erschließung ließ das Team von WRS den Haupteingang nach Norden verlegen, sodass man nun direkt in den Freiraum zwischen den beiden Kuben gelangt. Die Nebenräume wie Toiletten, Küchen und Garderoben sind in den Seitenschiffen untergebracht und diese über neue, großflächige Fenster zum Stadtteil hin geöffnet. Ins Innere der Kirche, insbesondere in die Gruppen- und Spielbereiche der Kita, musste ebenfalls mehr Tageslicht fließen, weshalb zum einen mattierte Glasscheiben gegen transparente ausgetauscht wurden und zum anderen der Westgiebel ein neues Rundbogenfenster erhielt – der von außen am deutlichsten sichtbare Eingriff in den Bestand. Die große Nutzfläche, die bei diesem Projekt im Innern der Kirche geschaffen werden musste, bringt es mit sich, dass sich der Kirchenraum heute nur noch eingeschränkt wahrnehmen lässt. Gleichzeitig konnte die Kirche nur so vor dem Abriss bewahrt bleiben.

 

Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Klein.

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