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Treppenhaus im Salzstadel Biberach vor dem Umbau

Vor der Sanierung sah es im Salzstadel so aus.

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Sanieren, Weiterbauen, Aufstocken: Salzstadel und Hinterhaus

Es gibt Gebäude, die nicht sofort als besondere Energiesparwunder auffallen. Doch bei näherem Hinsehen zählen die innerstädtische Nachverdichtung und das Wiedernutzbarmachen alter Substanz zum Nachhaltigsten, was Architektur leisten kann

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Weiterbauen!“ im Deutschen Architektenblatt 05.2021 erschienen.

Von Christoph Gunßer

Die Zeiten demonstrativ zur Schau gestellter Öko-Architektur sind längst vorbei. Energieeffizienz, auf die man sich als kleinsten gemeinsamen Nenner des ökologischen Bauens irgendwie geeinigt hat, kann sehr langweilig aussehen, manchmal auch verkniffen, wofür besonders den Schwaben eine Schwäche nachgesagt wird. Doch die besten Bauten erledigen das Thema Effizienz doch eher beiläufig – und können dabei gestalterisch zu so unterschiedlichen Ergebnissen kommen wie die Stuttgarter Hinterhof-Skulptur von g2o-Architektur und Corinna Wagners mit viel Gespür fürs Erbe neu genutzter Salzstadel in Biberach.

g2o Architekten: Das raffinierte Hinterhaus in Stuttgart

Stuttgart entwickelte sich wegen seiner beengten Lage stets am dynamischsten an den Rändern: Die Weißenhofsiedlung wies den Weg. Doch inzwischen ist Stadtumbau angesagt; auch die zum 100-jährigen Jubiläum der Siedlung angekündigte IBA hat diesen Paradigmenwechsel zur Priorität erklärt. Es geht vor allem um punktuelle Interventionen im Bestand, die die Stadt bunter und lebenswerter gestalten.

Das kann ganz schön kompliziert sein, aber lohnen, wie zwei Architekten Mitte vierzig im zentralen Heusteigviertel bewiesen, gar nicht weit übrigens vom Sitz der Architektenkammer. Weiß wie diese, aber nicht klassisch modern ist das Volumen gestaltet, das ein kleines Haus im Hinterhof überformt und in dem zwei große Wohnungen, zwei Appartements im Souterrain sowie im Erdgeschoss das Büro der Architekten untergebracht sind.

Für das Wohnen im Alter vorgesorgt

Gestalterisch hatten Michele Grazzini und Stephan Obermaier von g2o-Architekten freie Hand, denn Bauherr war Obermaiers Vater, der im Alter wieder in die Stadt ziehen wollte. Seine zweistöckige Wohnung oben im Haus sollte vor allem einen Lift haben und später teilbar sein. Im ersten Obergeschoss zog Sohn Stephan mit seiner vierköpfigen Familie ein.

So konnten sie als Selbstnutzer das Volumen spielerisch modellieren – im Rahmen der städtischen Vorgaben, die drei Vollgeschosse plus Dach erlaubten. Die 13 Parteien im Vorderhaus mussten einer Baulast zustimmen, Abstandsflächen zur angrenzenden Schule waren abzulösen und Stellplätze waren nachzuweisen, was dazu beitrug, dass sich die Baukosten am Ende auf 2,25 Millionen Euro brutto für überschaubare 2.880 Kubikmeter umbauten Raumes beliefen.

Aufstockung als leichter Holzskelettbau

Die schwierige Baulogistik im engen Hinterhof legte einen leichten Skelettbau nahe. Über dem Rumpf des alten Hauses errichtete man einen kompakten Körper aus tragenden Stahlstützen und einer Holzrahmenkonstruktion mit Holzelementdecken sowie mit Zellulose ausgeblasenen Dämmständern.

Für die seit einigen Jahren stilistisch angesagte monolithische Anmutung des Baukörpers sollte ursprünglich eine an Wand und Dach einheitliche Blechverkleidung sorgen, doch erwies sich eine Beschichtung mit Polyurethan als unkomplizierter und gestalterisch „purer“. Auch die teils neckisch schrägen Fensteröffnungen fügen sich bündig in die gewünschte straffe Haut. Ein wenig erinnert der skulpturale Duktus ans unlängst entstandene Dorotheenquartier in der nahen City (siehe DAB 09.2018, „Shopping makes the town go round?“).

Fassade und Dach elegant und gewagt

Weiß auch an den Dachflächen zu verwenden, erscheint in der schadstoffschwangeren Luft des Stuttgarter Kessels zumindest gewagt. Nach drei, vier Jahren Gebrauch ist die Oberfläche schon eher weiß-grau, doch lässt sie sich von der geräumigen Dachplattform aus reinigen (also „kärchern“). Dieses Gitterrost-Belvedere über den Dächern Stuttgarts wurde eigens zu diesem Zweck genehmigt. Auch können Dachlawinen bei der glatten Haut zum Problem werden – wie in diesem schneereichen Winter. Doch elegant und zierlich wirkt das Volumen zweifellos. Das Haus ist ein echter Hingucker im biederen Klein-Klein der umliegenden Nachkriegsbauten.

Vom überformten Altbau ist lediglich innen im Büro ein Stück Ziegelmauer sichtbar. Bis zum ersten Obergeschoss steckt in dem lichten Bau jedoch noch viel Vorkriegssubstanz – bewahrte „graue Energie“. Dass keine zusätzliche Fläche versiegelt wurde, das Haus mit einer Luft-Wasser-Wärmepumpe beheizt wird und den Effizienzhaus-Standard 55 der KfW erfüllt, ist nachhaltig.

Beheiztes Volumen möglichst klein

Pfiffig ist auch, dass man das Treppenhaus aus dem beheizten Volumen herausnahm und als stählernen Turm vor das Haus stellte (Obermaier hat früher in London für Richard Rogers gearbeitet). Es gibt eine mechanische Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung – sowie Feuchteregulation, denn die Dampfbremse liegt mit der PU-Haut außen, was sonst kritisch wäre und andernorts schon Schimmel verschuldet hat. Der neuartigen Beschichtung auf Erdölbasis werden dreißig Jahre Lebensdauer und eine gewisse Reparaturtauglichkeit attestiert.

Das ist indes keine Zeitspanne für unser anderes Beispiel im nahen Biberach, das schon seit über 500 Jahren steht und immer wieder umgebaut wurde.

Corinna Wagner: Der renovierte Salzstadel in Biberach

„Wir haben das Gebäude sozusagen nur geliehen, es wird uns überdauern. Die nächste Generation kann es wieder anders gestalten.“ So abgeklärt und bescheiden spricht Corinna Wagner, Architektin aus Überlingen am Boden­see, die den mächtigen Salzstadel am Biberacher Marktplatz wieder nutzbar gemacht hat (mit der Firma Schmid aus Baltringen als neuem Eigner und Generalunternehmer des Umbaus). Er stammt aus dem späten Mittelalter.

„Ich mache keinen Neubau mehr“

„Ich mache keinen Neubau mehr“, hatte die Mittfünfzigerin vor Jahren entschieden, um nachhaltiger zu arbeiten. Eine Machbarkeitsstudie für das Denkmalamt brachte sie zum Umbau des prominenten Giebelbaus. „Was braucht dieses Haus?“, fragte sich die Architektin, die schon als Kind gern alte Gemäuer erforschte. Da gab es viel zu tun. Die Gewerbeflächen standen leer, die Wohnungen waren renovierungsbedürftig. Das 5,50 Meter hohe Erdgeschoss war seit dem 19. Jahrhundert in zwei Geschosse unterteilt und diente halb als Ladenfläche, halb als Wohnraum. Für heutige Ansprüche waren die (durch den Wohnungszugang geteilten) Gewerbeflächen zu klein – ein generelles Problem in verwinkelten Altstadtlagen, nicht nur in Biberach (siehe DAB 01.14, „Die Stadt als Geschmacksverstärker“).

Zugeständnisse beim Denkmalschutz

Um eine wirtschaftliche Neunutzung zu ermöglichen, entschied man sich, die beiden niedrigen Etagen wieder zusammenzulegen. Im Gegenzug gestand das Denkmalamt zu, das bislang leere erste Dachgeschoss des historischen Speichers zu Wohnungen umzunutzen und einen neuen, barrierefreien Zugang zu allen acht Wohnungen auf der Hofseite einzurichten.

So entstand eine große zweigeschossige Gewerbefläche, für die eine Buchhandelskette als Mieterin gewonnen werden konnte. Viele neuere Zubauten wurden entfernt, sodass imposante Eichenstützen, eine barocke Treppe und Stuck- und Balkendecken nun freier zur Geltung kommen. Im ehemaligen Weinkeller, einem eindrucksvollen Ziegelgewölbe, ist heute die gemütliche Kinderbuchabteilung untergebracht.

Einblicke in die Baugeschichte

Trotz der nötigen (und vom Händler eigenständig gestalteten) Regalmeter öffnen sich auf diese Weise immer wieder überraschende Einblicke in die Baugeschichte des Anwesens. Auch in den Wohnungen, die eher zweckmäßig als schön über einen kargen Mittelgang erschlossen werden, lugt die kraftvolle historische Holzkonstruktion an manchen Stellen hervor, und die eigentlich fensterlosen Luken des zuvor als Speicher genutzten Dachraums wurden für die Wohnnutzung geschickt rahmenlos hinterfüttert, störende neue Dachgauben durch schräge Oberlichter mit gläsernen Ziegelflächen vermieden. Der Außenputz an der Hauptfassade konnte erhalten und viele der Fensterlaibungen aufgearbeitet werden. Auch das spart „graue Energie“.

Innendämmung und Wärmepumpe

Haustechnisch gelang es, durch denkmalgerechte Innendämmung und den Einbau einer Wärmepumpe sowie von Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung bemerkenswert niedrige Energiewerte zu erreichen: Der Endenergiebedarf liegt bei nur 47,9 kWh/m²a. Dafür nimmt man manch sichtbare Leitungen und Wickelfalzrüssel im Ladenlabyrinth in Kauf. Dass der Umbau trotz vieler Sonderlösungen mit 1.542 Euro pro Quadratmeter Bruttogeschossfläche nicht besonders teuer war, ist bemerkenswert.

So gelang es in beiden Fällen (Hinterhaus Stuttgart und Slazstadel), ein Stück bunte, nutzungsgemischte Stadt zu revitalisieren – effizient und interessant. Belohnt wurden die beiden Projekte dafür zuletzt mit einem „Effizienzpreis Bauen und Modernisieren“ des baden-württembergischen Umweltministeriums.

 

Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Nachhaltig.

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