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Das „Bellevue di Monaco“ in München zeigt, wie Integration „von unten“ gelingen kann: Drei vor dem Abriss bewahrte Häuser in bester City-Lage dienen heute als selbst verwalteter Wohn-, Lern-, Kultur- und Begegnungsort für Menschen aus aller Welt.

[ Interview ]

„Es steht für eine andere Art der Perfektion“

Viele Architekten träumen von ihrer eigenen Möbelserie, die perfekt zum Gebäude passt. Matthias Marschner von Hirner und Riehl Architekten hat das für das Münchner „Bellevue di Monaco“ wahrgemacht – und dabei nicht nur ästhetisch Gutes getan. Christoph Gunßer sprach mit ihm über eine außergewöhnliche Möbelproduktion

Interview: Christoph Gunßer

Herr Marschner, wie kam es dazu, dass nicht nur die Häuser des „Bellevue di Monaco“, sondern auch die Möbel selbst ­gestaltet wurden?

Unsere Maxime beim gesamten Projekt war, eher in Arbeitskraft zu investieren als in Material, also möglichst viel vor Ort zu fertigen, aufzuarbeiten und zu sanieren, möglichst unter Einbeziehung von Geflüchteten, die dadurch qualifiziert werden. Als es darum ging, das Café einzurichten, war uns klar, dass wir nicht mit fertigen Industrieprodukten arbeiten, sondern die Chance nutzen wollten, etwas Neues zu kreieren. So habe ich einen Freund, den Designer Michael Geldmacher, kontaktiert. Er hatte die Idee, das Projekt mit Studierenden aufzuziehen, weil es so einen kollektiven Charakter bekäme. Es fand sich an der Hochschule München eine begeisterte Studentengruppe unter Professor Florian Petri.

Welche Vorgaben machten Sie?

Das Design sollte sich am Fünfzigerjahre-Baustil des Gebäudes und den Anforderungen eines Cafés orientieren, wobei der Aspekt Kommunikation besonders wichtig war, da dies ein Beratungs-Café ist, das die Besucher vernetzen soll. Die Studenten kamen dann auch bald auf die dreieckige Grundform des Tisches, weil sie sich vielseitig kombinieren lässt. Die Endfertigung sollten Geflüchtete erledigen können und dabei jedes Stück zu einem Unikat machen. Für jeden dieser Aspekte entwickelten die 15 jungen Leute Konzepte, und Michael Geldmacher und ich gaben ihnen regelmäßig Feedback. Wir waren also nur die Geburtshelfer.

Wie gelang dann die Produktion?

Michael Geldmacher nutzte da seinen guten Kontakt zu GO IN, einem Hersteller von Gastronomiemöbeln. Dessen Geschäftsführer Maurus Reisenthel sprang begeistert auf den Zug auf und vermittelte die Fertigung der Prototypen für die Sitzschalen und die Gestelle in Italien. Wir reisten sogar mit einem Teil der Gruppe in die Betriebe, um die Details festzulegen. Schließlich wurde eine erste Charge mit 100 Stühlen und 40 Tischen hergestellt.

Wie funktionierte dann die ­Personalisierung?

Für das Café brauchten wir rasch 15 Tische und 30 Stühle. Also veranstalteten wir im Bellevue mit den Geflüchteten einen großen Workshop: Die ab Werk goldfarbenen Gestelle wurden individuell mit Klebebändern abgeklebt und anschließend in einer Werkstatt mit Glasperlen bestrahlt. Das ergibt einen sehr schönen, mattierten Effekt. Für die Sitzschalen war der Prozess aufwendiger; die Motive wurden frei gestaltet und drücken auch Botschaften aus.

War damit auch eine Qualifizierung ­verbunden?

Die Workshops sind sehr niederschwellig angelegt. Es gibt keinen großen Maschineneinsatz und keine große Lernkurve. Mindestens so wichtig wie die Fertigung ist die Kommunikation. Für die Menschen, die in Sammelunterkünften ein recht trostloses Dasein fristen, ist das ein Erfolgserlebnis. Als wir in diesem Januar eine Ausstellung im Magazin in München hatten, waren sie natürlich auch dabei.

Das Café ist seit knapp zwei Jahren sehr erfolgreich in Betrieb. Wie ging es danach weiter mit der Produktion?

Die erste Charge der Möbel ist bereits so gut wie verkauft. Wir haben inzwischen eine relativ stabile Gruppe, es ist ein kontinuierlicher Prozess. Gerade haben wir einen sehr interessanten Auftrag: So möchte die Gemeinde Tyrlaching in Ostbayern, dass wir den neuen Gemeindesaal bestuhlen. Uns schwebt vor, dass wir vor Ort mit unseren Leuten, den Geflüchteten, und jungen Leuten von dort Workshops veranstalten, um die Möbel zu personalisieren. In der Gegend ist die Landflucht der Jugend ein Problem. So ist das ganz im Sinne des Projekts.

Die Firma GO IN hat die Möbel letztes Jahr leicht modifiziert in ihre Gastro-Linie aufgenommen, und sie wird, natürlich nicht personalisiert, gut angenommen. Die Royaltys gehen ans Bellevue, und für uns hat es den Vorteil, dass wir die Halbzeuge nun günstiger beschaffen können. 100 Prozent der Erlöse der eigenen Chargen bekommt das Bellevue. Wenn das Projekt noch mehr wirtschaftlichen Erfolg hat, ist unser Ziel, eine feste Stelle für einen der Geflüchteten zu schaffen. Aber da sind wir noch nicht. Bis jetzt ist das für uns alle ein freiwilliger, unbezahlter Einsatz.

Profitieren Sie dennoch persönlich oder professionell?

Die Arbeit öffnet den Blick für die Möglichkeiten, wie sich Nutzer in Projekte einbeziehen lassen. Das schafft eine ganz andere Akzeptanz – das Café Bellevue wurde ein Gesamtkunstwerk, eine soziale Plastik im Sinne von Beuys. Und es steht für eine andere Art der Perfektion.

Verspüren Sie in der Öffentlichkeit ein wachsendes Interesse an solchen Non-Profit-Projekten?

Im Sommer 2015 gab es tatsächlich eine Stimmung, die vermuten ließ, dass mehr derartige Planungen entstehen. Das Bellevue, bei dem wir sehr viele Ressourcen eingebracht haben, bis hin zu praktischer Mitarbeit am Bau, hat unser Büro sehr bereichert. Die Genossenschaft war sehr gut und straff organisiert, und dennoch war die Planung über den ganzen Zeitraum im Fluss. Das haben wir als Architekten akzeptiert und Änderungen, zusätzliche Planungen und einen Teil der Bauherrenaufgaben freiwillig umsonst geleistet. Es wäre interessant, zu sehen, wie andere Kollegen mit solchen Prozessen umgehen.

Wenn ich das Projekt Studenten vorstelle, sehe ich schon Begeisterung. Soweit das im Curriculum organisiert ist, ist das Engagement auf jeden Fall da. Dennoch habe ich den Eindruck, übrigens auch bei den Fridays for Future, dass in der jungen Generation diese Ohnmacht vorherrscht, das große Ganze lasse sich nicht ändern. Für das Bellevue mussten sich quer durch die Gesellschaft viele zusammentun. Ich hoffe sehr, dass mehr solche Projekte entstehen. Das wäre für unsere Demokratie und die auseinanderdriftende Gesellschaft sehr wichtig.

Das Hausprojekt

Das „Bellevue di Monaco“ in München zeigt, wie Integration „von unten“ gelingen kann: Drei vor dem Abriss bewahrte Häuser in bester City-Lage dienen heute als selbst verwalteter Wohn-, Lern-, Kultur- und Begegnungsort für Menschen aus aller Welt. Das Café im Eckhaus ist das Aushängeschild, ein lichter Raum mit großen Fenstern im Stil der Fünfzigerjahre. Passend dazu, aber auch zum sozialen Projekt, entstanden die Möbel.

www.bellevuedimonaco.de/moebel

 

Beteiligte am Möbelbau

15 Studierende der Hochschule München, FB Industriedesign
Professor Florian Petri, Hochschule München
Michael Geldmacher, Industriedesigner, München
Matthias Marschner, Hirner & Riehl Architekten und Stadtplaner, München
Maurus Reisenthel, GOIN, Landsberg
Geflüchtete u. a. aus Syrien, Irak, Afghanistan und Nigeria

 

Weitere Beiträge zum Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt Produktion

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