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Ciudad Satelite, Naucalpan de Juarez, Mexiko

[ Ausstellung ]

Neue Heimat Hamburg

Nach dem erfolgreichen Auftakt in München ist die Ausstellung zur Geschichte der „Neuen Heimat“ in Hamburg angekommen. Wir empfehlen Ausstellung und Bücher und ein Zeitzeuge berichtet von den Verstrickungen des Konzerns mit der Politik und dem Widerstand gegen das „System Neue Heimat“.

„Wohnen für alle“ war schon in der Nachkriegszeit ein Schlagwort, das Wohnungsbaugesellschaften wie der „Neuen Heimat“ zur Blüte verhalf. Bis zu ihrem skandalumwitterten Niedergang in den 1980er-Jahren hatte sie über 400.000 Wohnungen realisiert. Die Ausstellung „Die Neue Heimat (1950–1982). Eine sozialdemokratische Utopie und ihre Bauten“ unternimmt nach ihrer ersten Station in München nun in Hamburg eine kritische Analyse jener Wohn- und Siedlungskonzepte, die vor dem Hintergrund der heutigen Situation neue Aktualität erhalten. Anhand historischer Fotos, Filme, Pläne und Modelle werden Einzelbauten und Siedlungen aus Hamburg, der restlichen BRD sowie aus dem Ausland vorgestellt. Die Ausstellung läuft vom 27.6.19 bis 6.10.19 im Museum für Hamburgische Geschichte

Die Bücher zur Ausstellung

Im Überblick:
Andres Lepik, Hilde Strobl
Die Neue Heimat (1950–1982). Eine sozialdemokratische Utopie und ihre Bauten
Edition Detail, 2019
236 Seiten, 29,90 Euro

Mehr Hintergründe:
Ulrich Schwarz (Hg.)
Neue Heimat. Das Gesicht der Bundesrepublik. Bauten und Projekte 1947 – 1985
(Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs, Band 38)
Dölling u. Galitz, 2019
808 Seiten, 79 Euro

 

Neue Heimat und Senat

Die Geschichte der „Neuen Heimat“ wird nun im Museum für Hamburgische Geschichte und in begleitenden Publikationen beleuchtet. zu sehen.  und blickt auch heute kritisch zurück

Von Joachim Reinig

„Neue Heimat und Senat – sind ein Gangster-Syndikat!“, diese Parole vieler Mieterdemonstrationen Mitte der 1970er-Jahre fehlt leider in der neuen Publikation des Hamburgischen Architekturarchivs „Neue Heimat. Das Gesicht der Bundesrepublik – Bauten und Projekte 1947 – 1985“, herausgegeben von Ullrich Schwarz. Ein aus einem Müllcontainer gerettetes Fotoarchiv bildet die Grundlage für das Buch, das durch sehr detailreiche Texte, insbesondere von Dirk Schubert, zum Wohnungsbau der Neuen Heimat, ergänzt wird. Bei der Buchvorstellung fand die sozialdemokratische Bausenatorin Dorothee Stapelfeld viel Lob für die Bautätigkeit der Neuen Heimat im Wiederaufbau, aber kein kritisches Wort – selbst 40 Jahre nach dem Zusammenbruch des gewerkschaftseigenen Konzerns. Nichts gelernt?

Anfang der 1970er Jahre stellte sich für mich als jungen Architekturstudent an der Hochschule für bildende Künste die Neue Heimat als Krake dar, eng verflochten mit Regierungen und Kommunen. Sie war überall präsent. Während die Hamburger Baubehörde von „cityuntypischen Bewohnern“ sprach, die „wertvolle Flächen blockieren“, entwickelte die Neue Heimat Pläne für Kahlschlagsanierungen in St.Georg oder Ottensen. Ihre Neubausiedlungen wie Mümmelmannsberg oder Osdorfer Born verhießen nichts Gutes. Sie hängen selbst nach 50 Jahren noch am Tropf der Sozialarbeit und der integrierten Stadtteilentwicklung.

Monopol im Städtebau

In einer Projektarbeit bei dem damals frisch berufenen Dozenten Hartmut Frank untersuchte 1974 eine Gruppe von Studenten (Paul Dietrich, Wilfried Franke, Johann Tippke und ich) die Planung und Finanzierung von Billwerder-Allermöhe und ihre Auswirkungen auf die Bevölkerungsstruktur. Für den neuen Stadtteil waren „hochwertige Wohnungen“ für 80.000 Menschen versprochen, woran wir angesichts des Erschließungsaufwands und der Lage in der Elbmarsch Zweifel hatten. Eher nebenher untersuchten wir die Planungsgeschichte. Dabei wurde deutlich, dass der neue Stadtteil auf Konzepten der Neuen Heimat beruhte und sie selbst Entwicklungsträger werden sollte. Die beteiligten Sozialdemokraten Rolf Spille und Walter Seeler kommentierten später: „Die Idee für die Trabantenstadt kam nicht aus dem Rathaus. Richtig griffig gemacht wurde sie in der Chefetage der gewerkschaftseigenen Unternehmensgruppe Neue Heimat.“ Und: „Ein auf kaltem Wege errungenes Monopol im Städtebau“ (Unsere Stadt Nr. 6, 4.3.1975).

Anfang der 1980er-Jahre protestierte der neu gegründete Verein „Mieter helfen Mietern“ gegen den Leerstand vieler Wohnungen, und die Stadtteilinitiativen dokumentierten ihre Erfahrungen in den Sanierungsausschüssen: „Mietermitwirkung ohne Wirkung“. Abrisse und Sanierungsprojekte wurden durchgezogen, die Proteste der Mietervertreter blieben ungehört. Der ehemalige GEWOS-Chef und TU-Harburg-Städtebauer Christian Fahrenholtz stellte in seinem Beitrag für die Dokumentation einen großen Nachholbedarf an Bürgerbeteiligung in Hamburg fest. Daraufhin wurde ihm von der Baubehörde die Kündigung der Zusammenarbeit mit der TU angedroht.

Tumult im Saal

Über die Wirkungslosigkeit der Mietermitbestimmung wurde eine öffentliche Veranstaltung im Hamburg-Haus Eimsbüttel geplant. Die Diskussion zwischen Mieterinitiativen und Baubehörde wurde durch Farbeierwürfe von Autonomen im Hamburg-Haus gestört – nur der frisch berufene Oberbaudirektor Egbert Kossak diskutierte farbverschmiert und mutig weiter, während der Bausenator Volker Lange aus dem Raum floh. Immerhin: Der Oberbaudirektor unterstützte den Erhalt der Falkenriedterrassen und leitete eine behutsamere Stadtsanierung ein. Nach dem Europäischen Denkmalschutzjahr 1975 begann ein langsamer Paradigmenwechsel.

Hartmut Frank regte 1981 einen Promotionsverbund zu einer „Arbeitnehmerorientierten Strukturanalyse für die Region Hamburg“ an, in dem ich über kommunale Wohnungspolitik arbeiten wollte. Die gewerkschaftseigene Hans-Böckler-Stiftung hatte dazu Stipendien zugesagt. Der Bewilligung musste die örtliche Gewerkschaft, die IG Bau-Steine-Erden, zustimmen. Parallel hatten sich viele ehemalige HfbK-Studenten in einer Fachgruppe „lohnabhängiger Architekten“ zusammengefunden. Die Gruppe kritisierte offen die Neue Heimat, den atomfreundlichen Kurs der IG BSE und deren Forderung nach Autobahnneubau. Die Gewerkschaft wiederum hatte große Probleme mit der Kritik der Fachgruppe, da BSE-Funktionäre in den Aufsichtsräten der Neuen Heimat saßen. Sie lehnten die Zusammenarbeit mit Mieterorganisationen ab und unterstützten Kahlschlagsanierungen.

Der Streit eskalierte, als der Gewerkschaftssekretär mich aus der Gewerkschaft warf, da ich angeblich selbständig arbeitete und die Gewerkschaft „gegnerfrei“ sein müsse. Damit war das Stipendium verloren. Nach heftigen Protestschreiben vieler Kolleginnen und Kollegen löste die BSE die Fachgruppe kurzerhand auf – mitten in Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebern. Mit Polizeihilfe wurden die Kollegen Ende 1981 aus der Bezirksleitung verwiesen. Der verantwortliche Gewerkschaftssekretär wurde später in den Hauptvorstand der IG BSE gewählt. (Inzwischen verliert die BSE – heute IG Bauen-Agrar-Umwelt oder IG BAU – übrigens kontinuierlich Mitglieder. Leider, denn eine soziale Gesellschaft braucht starke Gewerkschaften.)

Das System kommt ans Licht

Nur zwei Monate nach den Hamburger Ereignissen enthüllte im Februar 1982 der Spiegel im Neue-Heimat-Titel „die dunklen Geschäfte von Vietor und Genossen“. Neben den persönlichen Bereicherungen und Betrugsfällen kam das System Neue Heimat an die Öffentlichkeit. Wenn Gert Kähler jetzt in dem Neue Heimat-Buch von Ullrich Schwarz dafür die Überschrift „Presse-Spiegel: gefundenes Fressen“ wählt, macht er die Täter zum Opfer. Die Neue Heimat war 1986 am Ende – aus eigener Hybris und eigenem Verschulden.

Der Vertrauensverlust in die Gemeinwirtschaft und letztlich die Mutlosigkeit der Sozialdemokratie, die Gesellschaft selbst unternehmerisch zu gestalten, waren gravierend. Ich habe mein ganzes Berufsleben daran gearbeitet, neue Spielräume für selbstverwaltetes, eigenbestimmtes Wohnen aufzubauen – gegen Politiker, die nach dem Neuen-Heimat-Skandal nicht mehr auf Gemeinwirtschaft, sondern mehr auf private Investoren bauten, und den gemeinnützigen Wohnungsbau an die Wand fahren.

Und Billwerder-Allermöhe? 2013 promovierte der inzwischen pensionierte Erste Baudirektor Tassilo Braune bei Julian Wékel in Darmstadt über das Thema Planung von Billwerder-Allermöhe. Er kam zu dem Schluss, dass doch der Hamburger Senat den Stadtteil entwickelt und geplant habe. Zumindest in diesem Punkt unterscheiden sich seine Aussagen deutlich von denen der neuen Publikation. Bedauerlich ist, dass Hartmut Frank nicht an dem Buch mitgearbeitet hat – er hätte Einiges vertiefen können.

Und der neue Stadtteil Oberbillwerder? Seine Entwicklung leidet sehr unter dem Image von Billwerder-Allermöhe. Die Stadtplaner des dänischen Büros ADEPT haben erkannt, dass sie mit ihrer Planung der „Connected City“ auch den Bestand heilen müssen. Die Planungshoheit aber liegt wieder bei der Stadt und ihrer IBA – hoffen wir, dass sie die Ratschläge aus der Bevölkerung besser annehmen.

Joachim Reinig ist Architekt im Plan-R Architekturbüro Brüdigam + Reinig in Hamburg

 

 

 

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