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Haus 2 wird über Brücken erschlossen. Das Innere ist von jeglicher Erschließung befreit ...

[ Erschließung ]

Aufzug, Treppe, Tür 

Der klassische Erschließungskern ist die einfachste Lösung – aber es geht auch per , Fahrrad-Aufzug, Eckturm oder Brücke.

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Das höhlenartige Treppenhaus der Baugruppe „En Famille“ in Tübingen.

Text: Heiko Haberle

Wie Wohnungen erschlossen werden, scheint festzustehen: meistens durch einen Erschließungskern, der Treppe, Aufzug und Wohnungseingänge zusammenfasst. Dieser Kern kann im Gebäudeinneren oder an einer Außenseite liegen und sollte aus bauökonomischen Gründen möglichst kompakt sein und sich nicht von Geschoss zu Geschoss unterscheiden. Dann wäre da noch der Laubengang, der aber oft mit sozialem Wohnungsbau assoziiert wird. Sonderfälle, wie Kombinationen beider Prinzipien oder frei stehende, markante Erschließungskerne, sind selten.

Erschließungen, bei denen der Weg zum Erlebnis wird, findet man meist bei Kulturbauten, wo weniger raumsparend geplant werden muss – angefangen natürlich beim New Yorker Guggenheim Museum über das Centre Pompidou zum Mercedes-Benz Museum. Für das Shopping hat die grandiose Frankfurter Zeilgalerie der Darmstädter Architekten Kramm + Strigl mit ihrer Rampenspirale 1992 Maßstäbe gesetzt. Leider nur räumlich, nicht funktional und ökonomisch: Gerade hat ihr Abriss begonnen.

Wie in der Zeilgalerie die Geschäfte, reihen sich im 2010 bezogenen 8-House von BIG in Kopenhagen die Wohnungen an langen Rampen aneinander. In Benedict Tonons heute nur noch schwer umsetzbarem, weil nicht barrierefreiem, Spreerondo von 2002 gruppieren sich die Wohnungen, immer um einige Stufen höhenversetzt, um das zentrale Wendeltreppenhaus. Das sind aber Ausnahmen, denn statt auf einem inszenierten Weg will man eigentlich möglichst schnell zu seiner Wohnung gelangen. Zwar wird bei der Vermarktung von ­Wohnimmobilien immer mehr Wert auf Repräsentation gelegt, sodass sich durchaus viele Projekte mit besonders gestalteten Treppenhäusern finden. Doch das Grundverhältnis von Aufzug, Treppe und Wohnungseingängen zueinander wird kaum infrage gestellt – auch weil der klassische Erschließungskern in Sachen Brandschutz die etablierte Lösung ist. In Berlin, Tübingen, Wuppertal, in und bei Zürich testen Architekten dennoch die Spielräume aus. Der Wunsch nach Gemeinschaft, aber auch nach Privatheit, und besonders das Fahrrad scheinen dabei neue Varianten zu befördern.

Ein Balkon für das Fahrrad

 

Was bisher den Bewohnern des umstrittenen „Carlofts“ in Berlin-Kreuzberg vorbehalten war, nämlich mit dem fahrbaren Untersatz bis vor die Wohnung zu gelangen, können im Stadtteil Lichtenberg jetzt auch Radfahrer. Das Baugruppenprojekt „Fahrradloft“ der Architekten Lars Göhring und Paul Wichert besteht aus zwei Gebäuden an zwei Parallelstraßen und einem Garten dazwischen. Jeweils an den Straßenseiten befinden sich Durchlader-Aufzüge, mit denen man auf einen privaten Balkon gelangt, wo das Fahrrad abgestellt und die Wohnung betreten wird. Um niemals rückwärts rangieren zu müssen, wird über Kreuz erschlossen. Wer also in der linken Haushälfte wohnt, nutzt den rechten Eingang. Laubengänge empfinden die Architekten als tot, weil sie keine Brandlasten enthalten dürfen. Stattdessen waren belebte Eingangsbalkone gewünscht, die dank eines kreativen Brandschutzplaners, wie Göhring berichtet, umgesetzt werden konnten. Zwar durfte das Treppenhaus nicht zu den Balkonen hin offen sein, doch an einer Gebäudehälfte können sogar zwei Wohnungen über einen gemeinsamen Balkon betreten werden, weil unterschiedliche Abstell- und Erschließungszonen definiert wurden. Lars Göhring vergleicht das Konzept mit gestapelten Bungalows und ihren Vorgärten. Das Fahrrad als Entwurfsthema setzt sogar ungeahnte Entwicklungen frei. So würden nun die Bewohner hochwertigere Fahrräder anschaffen, beobachtet der Architekt.

Alltägliches in Szene gesetzt

 

Fahrräder, Kinderwagen, Rollatoren, Sitzbänke: Den Dingen, die oft in Treppenhäusern oder Wohnungen den Weg versperren und als Brandlasten nirgends hindürfen, gestehen Architekten selten prominente Plätze zu. Dabei sind informelle Zonen als Übergang von hausöffentlichen zu privaten Bereichen besonders wichtig und werden von den Bewohnern oft liebevoll gestaltet. In mehreren Häusern der Genossenschaft „Mehr als Wohnen“ auf dem Züricher Hunziker-Areal finden sie wie im Fahrradloft ihren Platz – etwa im Haus K von Miroslav Šik. Wegen des tiefen Baukörpers konnte der Erschließungskern zwei großzügige Atrien erhalten und mit Zusatzfunktionen umringt werden. Projektleiterin Daniela Frei beobachtet häufig, dass die Vorbereiche von Wohnungen als Abstellplätze dienen: „Wir machten dieses Bedürfnis zum Thema unserer Architektur.“ Jede Wohnung wird über einen privaten Vorraum für Fahrräder und Kinderwagen betreten und hat zusätzlich einen Abstellraum, der den Keller ersetzt. Auch hier erforderte der Brandschutz eine zuvor nicht geplante Tür zum Treppenhaus. Die Vorräume sind dafür aber zur Wohnung hin offen. „Das verleiht den Wohnungen eine Großzügigkeit, die im genossenschaftlichen Wohnungsbau dieser Preislage selten zu finden ist“, bemerkt Daniela Frei. Auf ein Kellergeschoss konnte verzichtet werden und das Erdgeschoss wurde frei für eine gläserne Waschküche, einen Gemeinschaftsraum, Büros und Ateliers.

Obwohl das Prinzip naheliegt, sind Vorbilder für diese informellen Übergangszonen im Geschossbau selten. Die Wohnungen der Architekten Fink + Jocher von 1998 an der Münchener Widmannstraße werden über einen Wintergarten erschlossen. Martin Gutekunst von pool Architekten aus Zürich fällt noch das von Baumschlager Eberle geplante Sporthotel Cube in Savognin in Graubünden ein. Dort gelangt man mit dem Mountainbike über Rampen zu den Zimmern, die sich um ein Atrium gruppieren. Diesen vorgeschaltet sind farbig verglaste „Showrooms“, in denen die wertvolle Rad- oder Snow­boardausrüstung gelüftet, gelagert und präsentiert werden kann.

Für ihr Haus G für die ­Genossenschaft „Mehr als Wohnen“ beriefen sich pool Architekten auf das Konzept des Hunziker-Areals als autofreie Siedlung. „Das hat uns zum Experimentieren angeregt“, so Projektleiter Gutekunst. „Das Velo wurde zum zentralen Thema.“ Im Haus G gelangt der Radfahrer per Durchlader-Aufzug zu einem gemeinschaftlichen Fahrradraum der jeweiligen Etage – wie im Fahrradloft ohne Wendemanöver. Wie im Haus K sollten die tiefen Grundrisse zum Vorteil der Bewohner genutzt werden, weshalb auch hier jede Wohnung einen vom Treppenhaus oder direkt von der Wohnung erreichbaren Kellerersatzraum besitzt. Die Belichtung des innen liegenden, rechtwinkligen Treppenhauses erfolgt über einen haushohen Einschnitt in das Haus. Durch den eingesparten Raum konnte der Keller für ein zentrales Regenwasser-Sammelbecken der Siedlung genutzt werden und im Erdgeschoss auch hier eine Waschküche in prominenter Lage Platz finden.

In Haus M von Duplex Architekten, die auch die Gesamtplaner des Hunziker-Areals waren, ist die Waschküche auf mehrere Räume im Treppenhaus verteilt. Insgesamt 15 Nutzräume sollen Leben in das kreuz und quer von Treppen durchzogene Atrium bringen. Darunter sind die hausgemeinschaftlichen Wasch- und Trockenräume ebenso wie vermietete Werkstätten und Bastelräume.

Loggia mit Treppenanschluss

 

Man kann also den Erschließungskern mit weiteren Funktionen aufladen, wenn man den Platz dazu hat – oder man kann ihn in seine Funktionen zerlegen, wie es zanderroth architekten aus Berlin bei ihrem Baugruppenprojekt CB19 getan haben, das aus einem Vorder- und einem ähnlich konzipierten Hinterhaus besteht. Was eher typisch für luxuriöse Penthouses ist, nämlich das Betreten der Wohnung direkt aus dem Aufzug, wollten die Architekten auch in einem niedrigeren Preissegment anbieten. Die Treppe ist zwar direkt an den Aufzugschacht angelagert, weist aber zu einer über die ganze Gebäudebreite laufenden Loggia auf der Rückseite, die von den zwei Wohnungen pro Etage genutzt wird. Aus Brandschutzgründen war auch hier, wie beim Fahrradloft, keine zur Loggia offene Treppe möglich, die einen vertikalen Begegnungsraum hätte entstehen lassen. Büroleiter Dirk Müller beobachtet dennoch, dass die Bewohner die Treppe nutzen, um sich gegenseitig zu besuchen. Die Ausbildung als Sicherheitstreppenhaus ergab wiederum Freiheiten bei der Fassadengestaltung. Weil der zweite Fluchtweg über die Leitern der Feuerwehr entfiel, konnte eine Fassade aus großformatiger Festverglasung und kleinen Öffnungsflügeln realisiert werden.

Ganz privat im Burgturm

 

Auch Herzog & de Meuron trennen Aufzug und Treppe in ihrem Wohnhaus Zellwegerpark in Uster bei Zürich voneinander und kommen ganz ohne Korridore aus. Zwei Aufzüge erschließen je zwei an den Hausecken angeordnete Wohnungen direkt. Jede Hausecke besitzt einen runden Turm mit einer sichelförmigen Loggia und einem wiederum runden Kern mit einer Wendeltreppe. Die Ecktürme wurden so platziert, „dass Sonneneinfall maximiert und Einsicht minimiert“ wird. Auch hier entsteht durch die ausgelagerten Treppen kein vertikaler Begegnungsraum über die Loggien hinweg, was zwar auch am Brandschutz liegt, aber von den Architekten vor allem mit dem Entwurfsziel einer möglichst großen Privatheit begründet wird. So können auch die Mieter der oberen Etagen über ihre Loggia und die Wendeltreppe direkt in den umgebenden Park gelangen. Eine reizvolle und irgendwie poetische Idee, zumal das Haus mit seinen vier Ecktürmen und der absichtlich unperfekten Betonfassade wie eine Burg im Grünen steht. Sosehr das Erschließungskonzept fasziniert, so sehr scheint es darauf ausgelegt, dass sich die Mieter möglichst wenig über den Weg laufen, was die Architekten aber relativieren: Statt eines gemeinsamen Treppenhauses blieben immer noch das Foyer vor dem Aufzug, ein Gemeinschaftsgarten und eben der Park als Treffpunkt.

Brücken und Lauben-Umgang

 

Der nächste Schritt nach der Zerlegung des Erschließungskerns ist seine komplette Auslagerung, wie sie das Wuppertaler Architektur Contor Müller Schlüter bei einem Haus des Studentenwohnheims Ostersiepen betrieben hat. Die extreme Hanglage ausnutzend, werden die oberen Etagen über Brücken erschlossen. Umgekehrt zu einem „normalen“ Haus, ist hier quasi die oberste Etage das Erdgeschoss. In die Geschosse darunter gelangt man über Treppen am Hang oder einen Aufzug neben den Brücken. Das Hausinnere ist völlig von einem Kern befreit und kann dank seiner skelettartigen Tragstruktur flexibel aufgeteilt werden. So ist pro Etage eine Wohnung für sechs oder es sind zwei Wohnungen für drei Studenten möglich. Auch eine Umnutzung für den geförderten Wohnungsbau wurde bedacht. Beim Lutherhaus in Essen, einem zum Studentenwohnheim umgebauten Gemeindehaus, haben Michael Müller und Christian Schlüter das klassische Laubenganghaus gespiegelt. Rücken an Rücken sind die Apartments angeordnet und von einem um das ganze Haus laufenden Gang umschlossen, der als Vorbereich zu den verglasten Apartments auch Begegnungsraum und optische Erweiterung der Wohnung ist. Kern und Wohnungen haben hier gewissermaßen ihre Positionen getauscht.

Das Treppenhaus als Höhle

 

Man kann aber die Erschließung auch bewusst als Kern begreifen, so wie es Manderscheid Architekten aus Stuttgart für die Tübinger Baugruppe „En Famille“ taten. Dass ein Aufzug weder erforderlich noch gewünscht war, musste ausgenutzt werden, so Christoph Manderscheid, der schnell an ligurische Bergdörfer und ihre gewundenen Treppenpfade dachte. Da einige Wohnungen Maisonettes sind, war nicht auf jeder Etage an gleicher Stelle eine Erschließung erforderlich. Die Treppe musste also nur bestimmte Positionen ansteuern. Einläufig führt sie in den ersten Stock, wo ein Korridor zu zwei Wohnungen abzweigt. Dann geht es nach links zu einem Podest und wieder nach links, wo die Treppe auf einer Art Vorplatz mit vier Wohnungstüren endet. Dieser kurze Weg wurde als spannendes Raumgefüge inszeniert, dessen Rückgrat ein Lichtschacht bildet. Eine roséfarbene Schlämme an Wänden und Decken steigert den skulpturalen, höhlenartigen Charakter des Treppen-Parcours. Dieser ist 25 Zentimeter breiter als notwendig, weil der Eindruck eines zu engen Treppenhauses immer bestehen bleibe, auch wenn die Wohnungen noch so großzügig seien, wie der Architekt findet.

Wo ein Aufzug ist, benutzt fast niemand mehr die Treppen. Da liegt es nahe, mit dem Erschließungsraum zu experimentieren und die Übergänge von hausöffentlichen zu privaten Bereichen zu hinterfragen und neu zu definieren. Die vorgestellten Projekte liefern unterschiedliche Antworten, die entweder weniger oder mehr Aufgaben für die Kerne bedeuten. Besonders der Wunsch nach belebten Erschließungsbereichen ist nachvollziehbar, wird aber vom Brandschutz erschwert, sodass oft neue private Bereiche entstehen. Aber sicher nicht richtig ist die Schlussfolgerung, auf diese Übergangszonen ganz zu verzichten und Treppen zum reinen Fluchtweg zu reduzieren.

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