Für den Berufsstand der Architekten ist dies der wichtigste Tag in diesem Jahr“ stellte Ulrike Rose fest. Sie wusste, wovon sie sprach: Als Moderatorin des Deutschen Architektentags 2015 von früh bis spät höchst konzentriert dabei. Bundesarchitektenkammer-Präsidentin Barbara Ettinger-Brinckmann präzisierte die Bedeutung: „Dies ist ein kraftvoller Tag, um unseren Berufsstand zu positionieren.“
Der Termin am 12. Oktober stand lange vorher fest, hätte aber kaum aktueller gewählt sein können. Zuerst wegen des Großthemas Flüchtlinge. Dazu kamen an die Architektenschaft dringende Appelle aus der Politik. „Wir brauchen Sie und müssen in den nächsten Jahren ganz eng zusammenarbeiten“, rief Staatssekretär Gunther Adler aus dem Ministerium für Umwelt und Bau, der sein Haus mit einem neuen, überraschenden Titel vorstellte: als „Bundes-Architektur-Ministerium“. Kanzleramtschef und Flüchtlings-Koordinator Peter Altmaier schaltete sich per Video zu und skizzierte den Berg von Aufgaben: „Wir stehen auf Jahre vor gewaltigen Herausforderungen. Wir müssen den Wohnungsbau sofort und kräftig anheizen. Und dabei müssen wir uns die Frage stellen: Können wir schneller und preiswerter bauen? Vorschläge der Architekten sind erwünscht und notwendig. Für Sie liegt darin eine große Chance, und ich bitte Sie, dass wir diese gemeinsam ergreifen.“
Der Architektentag tat das ganz direkt und erweiterte sein Programm um ein Forum zur Flüchtlingsfrage, in dem eine zentrale Frage hieß: Worauf können wir verzichten? Eine Antwort: auf die Pflicht zum Stellplatzbau oder dessen finanzielle Ablösung. Aber was darf bei aller Dringlichkeit nicht vernachlässigt werden? Da herrschte Konsens: Baukulturelle Standards dürfen nicht kurzfristig einem Schlichtbau geopfert werden, der dann auf Jahrzehnte schlechte Wohnverhältnisse schafft und die Städte verschandelt.
Andere aktuelle Fragen bewegen nicht das ganze Land, doch intensiv die Architektenschaft und ihre berufspolitischen Vertreter. In Sachen HOAI stellten sich die Vertreter der Bundesregierung hinter die Architekten und gegen die EU-Kommission, die die deutsche Honorarordnung am liebsten abschaffen würde. „Wir brauchen eine verbindliche HOAI ohne jeden Kompromiss“, verkündete Staatssekretär Adler. „Sie werden wir in Brüssel verteidigen.“ Kanzleramtschef Altmaier bestärkte ihn und die Architekten: „Wir haben gute Argumente, um die Kommission und, wenn nötig, den Europäischen Gerichtshof zu überzeugen. Wir haben mehrfach in Brüssel klargestellt, dass die Bundesregierung in dieser Frage an der Seite der freien Berufe steht.“
Kein leeres Versprechen
Altmaier sprach gleich ein weiteres aktuelles Thema an, das ebenfalls Gegenstand eines Architektentags-Forums war: „Viele von Ihnen treibt die Frage der gesamtschuldnerischen Haftung um. Wir glauben, dass Architekten hier in verschiedener Hinsicht benachteiligt sind, und arbeiten an einem Gesetzentwurf, der die Risiken angemessen verteilt. Noch in dieser Legislaturperiode wollen wir in die Sache Bewegung bringen.“ Das war kein leeres Versprechen, denn schon kurz vor dem Architektentag war ein Entwurf des Justizministeriums bekannt geworden, nach dem bei Bauschäden zunächst das ausführende Unternehmen zur Beseitigung herangezogen werden soll (siehe auch Seite 8). „Das ist längst nicht alles, aber es ist ein erster wichtiger Schritt“, kommentierte BAK-Präsidentin Ettinger-Brinckmann.
Zwei Drittel Spezialisten
Eher intern als im Dialog mit der Politik bewegten den Architektentag Themen wie das Building Information Modeling (BIM) und die Frage der fachlichen Spezialisierung. Letztere sei bereits weit fortgeschritten, erläuterte der Sozialwissenschaftler Christoph Hommerich auf der Basis seiner Umfragen unter Architekten. „Über 69 Prozent der Architekten haben sich zuletzt selbst als Spezialisten bezeichnet. Und das in so vielfältiger Weise, dass man es gar nicht beschreiben kann.“
Ob spezialisiert oder nicht – „Architekten tragen im günstigen Fall zu einem schöneren Gesicht unseres Landes bei“. Das stellte Bundesumwelt- und -Bauministerin Barbara Hendricks am Tagesabschluss bei der Verleihung des Deutschen Architekturpreises fest. Für ihre aktuellen politischen Aufgaben wünschte sie sich „die bewährte Partnerschaft der Bundesarchitektenkammer“. Deren Präsidentin Ettinger-Brinckmann nahm das Motto des Architektentages „Zukunft planen“ auf und ermutigte ihre Kollegen: „Planen wir die Zukunft – wir können das!“
Hannoversche Erklärung
Die „Hannoversche Erklärung zum Deutschen Architektentag“ fokussiert auf die für den Berufsstand wichtigsten Themen: Wohnungsbau, Mittelstandsförderung und Zukunft als freier Beruf, Energiewende, Vergabeverfahren sowie Haftungsfragen und Digitalisierung im Bau.
Den vollen Wortlaut finden Sie hier
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Weitere Beiträge zum sowie Impressionen vom Deutschen Architektentag 2015 finden Sie hier
Eine ausführliche Video-Dokumentation finden Sie hier (externer Link)