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[ Schwerpunkt: Licht ]

In der Nacht ­Gestaltungsmacht

Lichtkonzepte für ganze Stadtkerne sind noch selten in Deutschland. Der Planer Jochen Meyer-Brandis entwickelte eins mit besonderen Qualitäten.

Text: Roland Stimpel

Wenn die Nacht hereinbricht, hat der Städtebau scheinbar sein Recht verloren. Straßen- und Platzräume verlieren sich im Dunkeln, Sichtbeziehungen führen allenfalls zur streng ausgeleuchteten Hauptstraßenkreuzung. Von den Dächern ist gar nichts mehr zu sehen und von Türmen nur noch rote Warnlampen für Flugzeuge. Nur auf die Hauptkirche knallt Scheinwerferlicht, als solle hier abends um elf eine hochsommerliche Hochzeit verfilmt werden. Urbane Gestaltung gibt’s erst wieder im Morgengrauen.

Riedberger Idylle: Die wichtigsten Straßen und Bauwerke sind vom Boden her beleuchtet (Foto: Licht- und Bildgestaltung Niklas Reiners)
Riedberger Idylle: Die wichtigsten Straßen und Bauwerke sind vom Boden her beleuchtet (Foto: Licht- und Bildgestaltung Niklas Reiners)

Ein völlig falsches Denken, meit der Aachener Stadtplaner Jochen Meyer-Brandis: „Das Medium Licht hat unglaublich Potenziale. Man kann der Stadt ein neues Nachtgesicht geben. Viele Qualitäten lassen sich gerade viel deutlicher hervorheben als am Tag. Ein Ort kann nachts besser lesbar sein als im diffusen Tageslicht.“ Und der Planer hat ganz neue Spielräume: Tagsüber ist die Stadt nur mühsam und in Details zu verändern. Nachts dagegen kann der Einsatz von Licht Bild und Raumerlebnis grundlegend prägen – zum Besseren, aber auch zum Schlechten.

Mit Einzelgebäuden, Plätzen und Straßen fing Meyer-Brandis an, Städten ein Bild nächtlicher Lebendigkeit zu geben. Inzwischen illuminiert sein Büro SMB-Städtebau komplette Zentren. Erst in Heinsberg bei Aachen, jetzt in dem pittoresken Fachwerkstädtchen Rietberg in Westfalen, wo er die gesamte Altstadt-Beleuchtung neu erfunden hat. Hier fand er ideale Bedingungen vor: Bürger und Verwaltung sind stolz auf ihren Ort und in Gestaltungsfragen ehrgeizig bis ins Detail. Historische Gebäude, Außenräume, der Stadtgrundriss sowie der Grün- und Wasserring bieten reiches Potenzial für eine effektvolle Stadtbeleuchtung.

Und für Rietberg gab es das nötige Geld: Die Stadt hat einigen Wohlstand; vor allem aber bekam sie 2009 den Zuschlag im Projekt „Kommunen im neuen Licht“ des Bundes-Forschungsministeriums – und damit 1,6 Millionen Euro für eine komplett neue Altstadt-Beleuchtung. Der Bund zahlte Beschaffung und Einbau aller Leuchten, mit denen die Stadt ihre Straßen und ausgesuchte Gebäude anstrahlt – mehr als 40 bei Tag wie bei Nacht sehenswerte Häuser, vom barocken Fachwerk-Rathaus bis zur bescheidenen Ackerbürger-Kate.

Dazu kam die technische Gunst der Stunde, wie Meyer-Brandis berichtet: „LEDs bringen bei der Stadtbeleuchtung ungeheuer viel in Bewegung. Technisch bieten sie ganz neue Möglichkeiten. Und wirtschaftlich werden sie immer attraktiver. Ihre Preise sinken; die Strom- und Wartungskosten sind viel niedriger als bei herkömmlichen Leuchten.“

Was die Nacht enthüllt: Die beleuchtung der gebäude soll die Plastizität der Fassaden betonen. Oft wird sie am Abend besser sichtbar als im Tageslicht (Foto: Licht- und Bildgestaltung Niklas Reiners)
Was die Nacht enthüllt: Die beleuchtung der gebäude soll die Plastizität der Fassaden betonen. Oft wird sie am Abend besser sichtbar als im Tageslicht (Foto: Licht- und Bildgestaltung Niklas Reiners)

Reizvoll an den LEDs sind auch die vielen Lichtvarianten. Es lässt sich auf verschiedenste Art filtern und je nach Uhrzeit oder Jahreszeit herunterdimmen. Der Lichtkegel kann rund oder elliptisch sein, sein Rand hart oder fließend weich. Und dann ist da noch die Energiewende: Stromverbrauch und damit der CO2-Ausstoß für Rietbergs Licht sind um die Hälfte gesunken. Weil die Technik sparsamer ist, wird allerdings mehr beleuchtet – vorher an 160 Stellen in der Altstadt, jetzt an 212.

Funzeln vom Typ „Konsumverzicht“ waren in Rietberg nicht gefragt, sondern die Stadt wollte nachts ihr gepflegt-traditionelles Ambiente präsentieren. Das Grundkonzept dafür war Meyer-Brandis schnell klar: „Ich zeichne mit Licht die wichtigsten Stadträume nach. Es geht nicht nur um Ästhetik, sondern auch um die städtebauliche Figur.“ Erstens sollten die beiden wichtigsten Straßen, die sich am Markt kreuzen, in puncto Helligkeit hervorgehoben werden. Zweitens sollte Rietbergs pittoresker Park- und Wasserring seinen eigenen Nacht­charakter erhalten. Und drittens sollten einzelne Gebäude per Illumination hervor­gehoben werden – manche wegen ihres ästhetischen Eigenwerts, andere zur Markierung von Stadträumen. Letzteres zum Beispiel in kleinen Nebengassen: Hier guckte Meyer-Brandis Gebäude aus, die von den Hauptstraßen aus jeweils das Ende oder eine Krümmung des Nebenwegs markieren und so ein Stück Stadtraum kenntlich machen, ohne dass dieser komplett ausgeleuchtet werden muss. Das Ganze stimmte er auch mit dem städtischen Denkmalpfleger ab.

Ein schlichter, tagsüber dezenter LED-Leuchtentyp für die Straßen war bald gefunden, ebenso ein Typ mit grünem Deko-Ring für den Wallring der Stadt. Dieser wird von Wasserläufen begleitet, die jetzt blau bestrahlte Zonen unter einem Dutzend Fußgängerbrückchen auf dem Promenadenring markieren. An die Straßenleuchten lassen sich Strahler montieren, die eine Fassade, eine Dachlandschaft oder einen Turm von der Seite her in Szene setzen. Von unten tun das kreis- oder stabförmige Leuchten im Boden, die nur selten ins Auge strahlen, aber eine enorme Leucht- und Gestaltungskraft auf den von ihnen bestrichenen Fassaden zeigen.

Farbiges Licht ist möglich, aber mit Vorsicht einzusetzen: bloß nicht jene Multicolor-Soße, in die prominente Gebäude auf den „Lichtfestivals“ mancher Städte getunkt werden. Falsch wäre auch eine jene 300-Watt-Lichtartillerie, die in vielen Städten aus dicken Scheinwerfer-Bertas auf prominente Gebäude donnert und optisch das Gleiche anrichtet wie Kanonen: Sie macht die oft filigran gegliederten Fassaden fürs Auge einheitlich platt, und überm Lichtkegel ist alles radikal dunkel. „Dabei sind differenzierte Schatten, Übergänge und plastische Wirkungen so wichtig!“ ruft Meyer-Brandis. Zu jeder Lichtplanung gehört eine Dunkel-Planung, die Kontraste erzeugt und hervorhebenswerte Konturen erst richtig wirken lässt. Sie verschafft ihm auch ein Privileg, von dem die Städtebauer des Tages nur träumen können: Was er hässlich findet (in Rietberg wenig), lässt er einfach im Dunkeln verschwinden.

Probeleuchten, bis der Arzt kommt

Mit den Privateigentümern der zur Beleuchtung ausersehenen Häuser leistete sich Meyer-Brandis einen Abstimmungsaufwand der Sonderklasse: Sie wurden mit Flyern informiert und zu Versammlungen geladen, und mit jedem Einzelnen verhandelte der Planer einen Vertrag, der mit der Stadt abgeschlossen wurde. Diese durfte dann auf den Privatgrundstücken Leuchten installieren und muss deren Strom bezahlen. Probeläufe mit Scheinwerferlicht vom Boden, von Masten und von Hebebühnen aus sollten sichern, dass die Fassaden effektvoll ausgeleuchtet werden, die dahinter liegenden Räume dagegen möglichst gar nicht. Natürlich ging das nur im Dunkeln, weshalb die Tests im Sommer bis tief in die Nacht gingen. Meyer-Brandis: „Da mussten wir oft probeleuchten, bis der Arzt kam.“ Immer wieder wurde das Licht am Ende sanfter, dezenter und weicher als anfangs gedacht.

Die Eigentümer fast aller ausgeguckten Häuser ließen sich ins Lichtkonzept einbinden. Die meisten freuen sich, dass ihr Haus jetzt ohne Kosten für sie selbst zum Strahlen kommt. Zwei haben durchgesetzt, dass sie das Licht selbst an- und ausschalten dürfen. Einer hat an der Straßenleuchte ein „Ablenkblech“ bekommen, das ihm die Terrasse im Dunkeln hält. Und nur ein Einziger, der mit der Stadt wegen anderer Dinge haderte, verweigerte sich grundsätzlich.

Auch an Werbelicht, grelle Schaufenster und Ladenräume kam er nicht heran. All das aber war in der Rietberger Altstadt schon zuvor viel dezenter als anderswo. Und wo jetzt das hinterleuchtete Ladenschild in Rot schreit oder das Neonlicht aus dem Friseursalon quillt, stört das eher das harmonische Bild – man guckt weg. Auch Rietbergs Ladenbesitzer werden wohl feststellen, dass sie dezent besser werben. Beim Straßenlicht kämpfte Meyer-Brandis mit der DIN 13201, die nur Verkehrs- und Verbrechenssicherheit kennt und sich um Ästhetik nicht schert. Sie verlangt gleichmäßige Lichtstärken; Meyer-Brandis wollte zum Beispiel auf der grünen Promenade einen Rhythmus von Hell und Dunkel erzeugen. Es gab mühsame Kompromisse, ermöglicht durch den Forschungscharakter des Rietberger Projekts.

Meyer-Brandis propagiert: „Lichtplanung ist dazu da, dass man sich auf den Abend freut.“ Kürzlich erhielt Rietberg den ersten Preis beim globalen „city.people.light award“ des Weltlichtverbands LUCI, vor deutlich größeren Konkurrenten Seoul und Genf. Vielleicht auch, weil nicht alles in Rietberg hell ist. „Das öffentliche Bürgergärtchen haben wir nur ganz sparsam ausgeleuchtet.“ Nicht nur die Liebespaare mögen es hier und da auch schummrig.

Stadtlicht in Büchern

Die beiden Standardwerke der städtischen Lichtplanung sind mittlerweile acht Jahre alt. Naturgemäß ist die technische Entwicklung über sie hinweg gegangen; die aktuellsten Beispiele fehlen. Trotzdem sind beide Bücher als Einführungen ins Thema empfehlenswert. Das Buch von Schmidt und Töllner behandelt mehr historische und gestalterische Grundlagen sowie Fallbeispiele aus dem In- und Ausland, das von Brandi und Geissmar-Brandi ist stärker auf das praktische Handeln und Details fokussiert.

Ulrike Brandi, Christoph Geissmar-Brandi:
Licht für Städte. Ein Leitfaden zur ­Licht­planung im ­urbanen Raum
Birkhäuser Verlag
2006, 168 S., 52,95 Euro

J. Alexander Schmidt, Martin Töllner:
StadtLicht – Lichtkonzepte für die Stadt­gestaltung
Fraunhofer IRB Verlag 2006, 224 S., 69,00 Euro

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