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... ist aber für dortige Verhältnisse revolutionär mit seinen Straßenräumen unter freiem Himmel, auf denen kein einziges Auto fährt

[ Schwerpunkt: Städtebau ]

Neues Leben in L.A.

Ausgerechnet Los Angeles wird zum Musterfall für die Abkehr von der autogerechten Stadt

Text: Wolfgang Christ

Keine Stadt der Welt wird so von der Autokultur geprägt wie Los Angeles. Wer die Stadt nicht kennt, glaubt, das sei schon immer so gewesen und werde auch immer so sein. Aber das war es keineswegs: Los Angeles besaß einst das weltweit längste und dichteste Straßenbahnnetz und in der Stadtmitte drängten sich Hundertausende Fußgänger entlang der Straßenbahn-Boulevards. Auf historischen Bildern ist die Spring Street kaum von der Leipziger Straße in Berlin zu unterscheiden. Und erst Anfang der 1960er-Jahre verschwand die Straßenbahn aus dem Stadtbild. Seitdem wird Los Angeles vom Auto beherrscht. Der deutsche „Spiegel“ zitiert 1982 einen amerikanischen Soziologen mit der Aussage: „Der Freeway ist das Einzige, was die Bewohner von Los Angeles eint… Er repräsentiert, wofür wir stehen in dieser Welt. Der Freeway ist die Kathedrale dieser Zeit und dieser Stätte.“

30 Milliarden Dollar für den Nahverkehr

Doch jetzt sind die einstigen Freeways chronisch überfüllt. Die Fahrt auf ihnen ist quälend langsam geworden – ein untrügliches Indiz für das Verlöschen der Leitbilder der funktionalistischen Moderne. Der Stillstand auf dem Highway steht in scharfem Kontrast zur ungebrochenen Vitalität der Stadt. Los Angeles schreibt gerade das letzte Kapitel in der Geschichte der Automoderne und schlägt zugleich ein neues Kapitel auf: Die Autobahn war gestern; die Boulevardkultur der Stadt erlebt eine vielerorts spürbare Renaissance. Die Zeichen des Wandels sind unübersehbar. Das Stadt­zentrum ist auf dem besten Weg zu einer fußgängerfreundlichen City. Seit der Jahrtausendwende sind etwa 35.000 Bewohner zugezogen. Jahrzehntelang leer stehende Lagerhäuser, Bürogebäude oder Warenhausbauten werden neu genutzt und Brachflächen bebaut.

Loft-Living in der Mitte konkurriert erfolgreich mit dem Eigenheim in Suburbia. Seit 1999 entstanden etwa 20.000 Wohneinheiten, der überwiegende Teil im Neubau – vom Stadthaustyp bis zum Hochhaus. Etwa ein Drittel der Wohnungen hat Sozialwohnungs-Standard. Im Durchschnitt wächst die Einwohnerzahl pro Jahr um 2.500 bis 3.000. Die zugezogene Mittelschicht und die sogenannte ‚kreative Klasse’ schaffen das Umfeld für die Rückkehr des einer Weltstadt adäquaten Einzelhandels sowie entsprechender Hotels, Bars, Restaurants und Cafés. Künstlerateliers, Werkstätten, Galerien und natürlich Architekturbüros suchen die zentrale Lage und finden (noch) bezahlbare Räume. Die

Foto: JV Partner CalPERS
Urban wohnen: Die „Met Lofts“ von Johnson Fain Architects wirken steril, sind aber einer der vielen Bei­träge zur Belebung des Zentrums. Foto: JV Partner CalPERS

kulturelle Mitte der Stadt profiliert sich wieder mit neuen Museen, wie dem 2014 eröffnenden Broad, und neuen öffentlichen Park- und Platzanlagen. Das bisherige Areal der monotonen Superblocks aus der stadtzerstörerischen Ära der alten Stadterneuerung reichert sich Zug um Zug mit kleinteiligerer Mischnutzung an.

Der Stadtkern wird wieder zum Knoten des regionalen Schienennetzes. Die zentrale Union Station wird um einen dritten Teil erweitert. Los Angeles baut zurzeit an einem 500 Kilometer langen Straßenbahnnetz. 128 neue Bahnhöfe werden in den kommenden 20 Jahren errichtet. 30 Milliarden Dollar stehen zur Verfügung. Zwar scheiterte Ende letzten Jahres eine Volksabstimmung für eine Aufstockung des Budgets auf 90 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2069 – doch nur äußerst knapp: 66,1 Prozent stimmten dafür und verfehlten das Quorum nur um ein halbes Prozent. Die Bewohner der City genehmigten gleichwohl 125 Millionen Dollar für die Rückkehr der Straßenbahn in den wieder zum Boulevard zurückgebauten Broadway. Parallel wird die U-Bahn weiter gebaut. 2023 wird das Kunstmuseum LACMA einen U-Bahn Anschluss erhalten und Peter Zumthor wird den Erweiterungsbau als neuen Haupteingang gestalten. Das insgesamt 650 Millionen Dollar teure Projekt wurde am 9. Juni 2013 vorgestellt.

Auch das Small Business kehrt zurück: Die technischen Potenziale des Internets befördern die Gründung und den Betrieb von Firmen, die lokal verankert sind und zugleich weltweit agieren können. So werden in einem ehemaligen Laden am Santa Monica Boulevard Elektro-Skateboards für Erwachsene hergestellt, die auch nach Europa verkauft werden. Kleine Unternehmen brauchen offensichtlich eine abwechslungsreiche und damit kreativitätsfördernde Nachbarschaft sowie das typische Dienstleistungsangebot eines urbanen Standortes.

Und es wird wieder an der Straße eingekauft. Die offenen Center Paseo Colorado, The Grove und The Americana at Brand inszenieren eine urbane Einkaufs- und Flanieratmosphäre. Ihr Ankermieter, das wichtigste Lockmittel für Kunden, ist nicht mehr ein Warenhaus oder der großflächige Media- und Hausgerätemarkt, sondern „Placemaking“: Das Center fügt sich aus parzellenartigen Hauseinheiten zusammen, deren Fassaden mit Schaufenstern und gegliederten Geschossebenen den Stilmix der gründerzeitlichen Downtown reproduzieren. Die Raumkomposition folgt den Regeln eines pittoresken Städtebaus mit achsialen Straßenperspektiven und Platzanlagen, ausgestattet

Foto: Slices of Light
Urban flanieren: Auch das Einkaufs- zentrum „The Americana at Brand“ setzt auf ein klassisch-städtisches Ambiente. Foto: Slices of Light

mit Pavillons, Brunnen, Denkmälern und Gärten. Auch wenn diese Center als private „Freizeitinseln“ auftreten, sind sie doch ein unübersehbares Symptom für die Renaissance der städtischen Einkaufsstraße. Entlang der Avenues und Boulevards braucht es nur eine Initialzündung, um zur Shopping-Adresse zu werden – etwa ein außergewöhnlich gutes Restaurant oder ein ausgefallenes Ladenkonzept. Überdruss an der verbreiteten Standardisierung des Warenangebots schafft Raum für kreative, individuelle, eigentümergeführte Shops und Dienstleistungsbetriebe. Nicht zuletzt wird wieder städtisch gewohnt: Die Einkaufszentren Paseo Colorado und The Americana at Brand weisen mehrere Hundert Eigentumswohnungen auf. Wohnen auf einem Center, das wie ein Gründerzeitblock aussieht, ist heute in Los Angeles marktgängig. Vor etwa 20 Jahren startete der ­Congress for the New Urbanism (CNU) mit dem Ziel, Amerikaner wieder mit der traditionellen Stadtkultur und dem Leben mittendrin in Einklang zu bringen. Seine Prinzipien, wie Nutzungsmischung, Straßenraumbildung, Verdichtung an Achsen sowie Knoten des öffentlichen Verkehrs und nicht zuletzt die Integration der Bürger in den Planungsprozess, sind heute anerkannte Standards nachhaltiger Stadtentwicklung. Die Krise der Hausfinanzierung hat Suburbia schwer getroffen. Dagegen erweisen sich die städtebaulich integrierten Lagen, vor allem in Downtown, als stabile Wertanlage. Im Zentrum der 90.000-Einwohner-Stadt Santa Monica im Westen des Ballungsraums gibt es mehr als zwei Dutzend Apartmentprojekte, bei denen die Stadt auf einen Parkplatznachweis verzichtet – selbst bei blockgroßen Vorhaben.

Aufbruch in die Apple-Moderne

Die Straßen werden von Radfahrern erobert: „Jede Fahrspur ist ein Fahrradweg“ lautet die Botschaft der Stadtverwaltung auf Reklametafeln am Straßenrand. Man kommt oft schneller voran als mit dem Auto, und in der Jugendszene löst das Fahrrad gerade das Auto als Lifestyle-Objekt ab. Die notwendige Infrastruktur mit Radwegen und Radläden wächst rapide. So hat das seit 2010 zur Straße offene Einkaufszentrum Santa Monica Place gleich an zwei Blockecken große Läden, die Räder verkaufen, verleihen und reparieren. 2012 wurde der Ocean Boulevard in Santa Monica, der in den 1960er-Jahren

Foto: City of Santa Monica
Urbaner fahren: Der Ocean Boulevard im Vorort Santa Monica war vor kurzem noch vierspurig grau. Foto: City of Santa Monica

im Zuge der Sanierung autobahnbreit ausgebaut wurde, in einem ersten Teilabschnitt modellhaft zur „Grünen Straße“ mit zwei statt vier Fahrspuren und je einer Radspur umgebaut. Los Angeles legt zurzeit etwa 2.000 Kilometer Radwege neu an.

Und wer nicht Fahrrad fährt, geht öfter zu Fuß: Je mehr Menschen wieder in die Zentren zurückkehren, je stärker Dienstleistungen und Einzelhandel vor Ort nachgefragt werden und je attraktiver die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum ist, desto sicherer und angenehmer ist es, zu Fuß zu gehen. Fußgänger profitieren sichtbar von der Abnahme schaufensterloser Erdgeschosszonen, der Schließung von Baulücken und reduzierten Fahrspuren, der Anlage von Alleen, einer hochwertigen Gestaltung von Haltestellen und mehr. Es entsteht eine einladende Stadtatmosphäre. Die Stadt Los Angeles unterstützt die Entwicklung mit eigenen Fußgänger-Beauftragten, die Unfallprävention betreiben, Straßenbauprojekte begleiten, Initiativgruppen wie „LA Walks“ unterstützen und Erfahrungen anderer Städte einbringen. Eine Addition von Straßencafés und von Geschäften, die den Bürgersteig als Resonanzraum begreifen, lassen das Zufußgehen wieder zum individuellen Auftritt auf der Bühne des öffentlichen Raumes werden, nach dem Motto „Sehen und gesehen werden“.

Los Angeles ist ein lehrreiches Fallbeispiel für den aktuellen Umbruch von der „Automoderne“ zur „Apple-Moderne“. Im 20. Jahrhundert wurde es ohne Rücksicht auf Verluste radikal als „Stadt der Zukunft“ im damaligen Sinn geformt – nun geht es um die Frage, ob und wie ein Ausstieg aus dieser überlebten Moderne möglich ist. Es zeigt sich auch heute, dass Stadt und Straße nur funktionieren, wenn sie gemeinsame Werte teilen. Und dass die Straße ein machtvolles Instrument ist, um, wie auch immer, Stadt zu bauen. Mit dem Smartphone und dem Internet existiert eine zu Auto und Autobahn äquivalente machtvolle Infrastruktur. Die Folgen für die Stadtentwicklung werden heute aller Voraussicht nach ebenso tief greifend sein wie vor einem halben Jahrhundert: Die digitalen Werkzeuge forcieren die Entwicklung dezentralisierter, kleinteiliger, individualisierter und zugleich komplex aufgebauter Strukturen – nicht zuletzt im Städtebau. Also das Gegenteil von dem, was im Industriezeitalter Standard war. So kann zum Beispiel Fachkompetenz heute demokratisiert werden: Der einfache und für alle mögliche Zugang zu Wissen macht Planungsprozesse von unten nach oben notwendig und sinnvoll. Bürgerinitiativen sind daher treibende Kräfte beim Umbau wichtiger Straßen, etwa beim Ocean Boulevard oder dem gerade begonnenen Verschönerungsprojekt am Lincoln Boulevard.

Die Rekonstruktion der „klassischen“ Verbindung aus Boulevard, Straßen- oder U-Bahn mit Radfahren und Zufußgehen sowie ihre Ergänzung etwa mit Car-Sharing führt zusammen mit einer reparzellierten Blockbebauung zu einer zeitgemäßen urbanen Lebensqualität. Indem mit dem Smartphone individuell optimierte Netzverbindungen angezeigt werden, kann der Stadtraum flexibel und frei wie nie zuvor navigiert werden. Die Social-Media-Netze integrieren den urbanen Raum nach den Bedürfnissen der Nutzer. Schon prophezeit Christopher Hawthorne, Architekturkritiker der Los Angeles Times: „Nimmt man die gesamte Stadtgeschichte von Los Angeles, dann erweist sich die Auto-und-nur-Auto-Ära als Ausnahmezeit – als kurze Phase in der langen Entwicklung der Stadt.“

Professor Wolfgang Christ lehrt Entwerfen und Städtebau in Weimar.

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