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Weiche Stoffe: Die textile Membranfassade des „Soft House“ mit integrierten Photovoltaik-Elementen wendet sich der Sonne zu (Kennedy & Violich Architecture, Boston).

[ Bauausstellungen ]

Kosmos, Metro, Klimawandel

Bauen und Bildung, Bürgerbeteiligung und Soziales: Innovationen und Experimente der Hamburger IBA

Text: Claas Gefroi

Foto: IBA Hamburg GmbH / bloomimages

Wie kann man einem über Jahrzehnte vernachlässigten Stadtteil eine Zukunftsperspektive geben? Als 2006 die IBA-Gesellschaft ihre Arbeit aufnahm, wurde eines rasch klar: Die Neustrukturierung Wilhelmsburgs ist nicht mit einer „klassischen“ IBA zu leisten. Es würde nicht genügen, in einem „Architekturzoo“ die neuesten bautechnischen und ästhetischen Errungenschaften zu präsentieren. Unter IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg wurden deshalb drei Arbeitsfelder definiert. „Kosmopolis“ hieß das erste: Wie können kulturelle und ethnische Unterschiede innerhalb der Bevölkerung zu einer „Quelle von Kreativität und Identität“ werden? Arbeitsfeld zwei heißt „Metrozonen“: Wie können die Potenziale von zersiedelten, disparaten Stadtgebieten mit ihren Barrieren, ihren Leer- und Zwischenräumen genutzt und zu urbanen Räumen weiterentwickelt werden? Drittes Thema ist die „Stadt im Klimawandel“: Wie können Städte den Klimaschutz voranbringen und sich zugleich den jetzt schon einsetzenden Auswirkungen des Klimawandels anpassen?

Alle drei Themen, also der soziale, städtebauliche und energetische Umbau der Stadt, sind aus dem Stadtteil und seinen prägenden Faktoren abgeleitet. Doch es sind viele, große und manchmal auch abstrakte Fragen, die man im Rahmen dieser IBA beantworten will. Die Fördergelder müssen auf eine immense Bandbreite von Projekten verteilt werden. Schon vor der Eröffnung am 23. März fällt es der Fach- wie der Laienöffentlichkeit schwer, diese IBA inhaltlich zu fassen. Dazu trägt unfreiwillig auch ein im Kern sehr sympathischer Ansatz bei: Die Bauausstellung soll vor allem den Bewohnern zugutekommen. Es zählt nicht das Plakative, sondern der tatsächliche Nutzen – man vermeidet vordergründiges Spektakel. Mit den 100 Millionen Euro der Stadt Hamburg plus den Geldern privater Investoren entstehen kein weithin strahlendes Leuchtturmprojekt, sondern ein Potpourri aus 60 kleineren und größeren Maßnahmen.

Ein Rathaus auf der Verkehrsinsel

Sanfte Wellen: Am neuen Inselpark wohnt man in „WaterHouses“ von Schenk + Waiblinger Architekten aus Hamburg. Sie stehen in einem Becken und sollen nicht flutgefährdet sein. Rendering: IBA Hamburg GmbH / Schenk + Waiblinger Architekten, Hamburg

Versuchen wir das Unmögliche und wagen anhand einiger exemplarischer Projekte einen kurzen Abriss dessen, was in diesem IBA-Abschlussjahr zu sehen sein wird. Städtebauliche Grundlage aller Planungen ist der Masterplan – entwickelt vom einstigen niederländischen „Reichsbaumeister“ Jo Coenen und den französisch-deutschen Landschaftsplaner des Büros agence ter. Sein wichtigstes Ziel ist es, dem heterogenen und von Verkehrsschneisen zerschnittenen Stadtteil wieder ein Zentrum, eine Mitte zu geben.

Eindrückliches Symbol für die heutige Zerrissenheit Wilhelmsburgs ist das stolze, einst identitätsstiftende neogotische Rathaus von 1902, das isoliert auf einer Verkehrsinsel in der Zufahrt zur Autobahn-ähnlichen Wilhelmsburger Reichsstraße steht. Parallel hierzu verläuft einige Hundert Meter östlich die Bahntrasse von Hamburg nach Süden – und weit östlich von ihr noch eine Autobahn. Die drei Verkehrswege teilen Wilhelmsburg räumlich und optisch bisher in vier Partien. Die Wilhelmsburger Reichsstraße soll jetzt außerhalb der IBA neben die Bahntrasse verlegt werden – im Kern eine alte Forderung von Bürgern, aber jetzt von Protest begleitet, da durch einen weiteren Ausbau der Straße mehr Autoverkehr befürchtet wird und die rigide Trassenplanung auf lokale Gegebenheiten wenig Rücksicht nimmt.

Zwischen den heutigen Trassen entsteht auf 30 Hektar Brachland derzeit das, was ab Mitte des Jahres das Herz Wilhelmsburgs bilden soll: eine Mischung aus Wohnen, Büro, Einzelhandel und Dienstleistung sowie Hotel- und Freizeitbauten. Hier befindet sich auch der Eingang zum Wilhelmsburger Inselpark, Schauplatz der Internationalen Gartenschau 2013. In der neuen Mitte entsteht ein Komplex mit Ärztehaus, Sport- und Schwimmhalle, dem Haus der „InselAkademie“ für Fortbildung und Jugendwohnen, einer Kletterhalle, einem Seniorenzentrum sowie dem hölzernen Wälderhaus als Ausstellungs- und Schulungszentrum – entworfen vom Büro Studio Andreas Heller.

Nördlich davon wird gerade der neue Sitz der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt von Sauerbruch Hutton fertiggestellt. Die Behörde mit ihren 1.400 Beschäftigten wandert aus der Innenstadt nach Wilhelmsburg – klassische Standortpolitik, zumal Mitarbeiter in Wilhelmsburg auch einkaufen und Dienstleistungen nachfragen, im besten Fall sogar in der Nähe ihres Arbeitsplatzes wohnen sollen. Der Bau selbst ähnelt in seiner mäandernden Form und der Farbgebung dem Dessauer Umweltbundesamt derselben Architekten. Er bildet aber keinen Ring, sondern einen Winkel mit einem mittigen Hochhaus als Zentrum, und ist als Nachhaltigkeits-Musterbau geplant. Gleich daneben entstehen die Wohnhäuser der „Bauausstellung in der Bauausstellung“, eine Versammlung von „Case Study Houses des 21. Jahrhunderts“, wie die IBA selbstbewusst kundtut. Die Häuser haben vier Themen: Sie sind wandelbar („Hybrid Houses“), intelligent und nachhaltig geplant („Smart Material Houses“), preiswert („Smart Price Houses“) sowie für das Wohnen am Wasser bestimmt („Water Houses“). Nicht alles, was hier entsteht, rechtfertigt die Bezeichnung Pionierbau. Manches wirkt zu plakativ, manches zu aufwendig hergestellt. Doch zeigen die meisten Gebäude tatsächlich interessante, innovative Ideen.

Die „Smart Material Houses“ von Kennedy & Violich („Soft House“), architekturagentur („Woodcube“), Zillerplus („Smart ist grün“) und Splitterwerk („BIQ“) zeigen, dass man mit ganz alten (Holz) und auch ganz neuen Materialien (Mikroalgenfassaden, Latentwärmespeicher) energiesparende oder sogar energieerzeugende Gebäude von hoher gestalterischer Qualität schaffen kann. Gespannt sein kann man auch auf den kostengünstigen Experimentalbau von BEL namens „Grundbau und Siedler“. Es entsteht zunächst nur ein Grundbau mit Erschließung und Installationen, den die Bewohner dann nach eigenen Bedürfnissen und finanziellen Möglichkeiten individuell ausbauen können. Für den „Case Study #1“-Prototypen, ein Fertighaus als Stadthaus, hat sich der Fertighausbauer Schwörer mit dem Architekturbüro Fusi & Ammann zusammengetan. Weitere interessante Ansätze kamen nicht zum Zuge, weil die Architekten nicht rasch genug Investoren fanden.

Bürger reden gründlich mit

Offene Formen: Bei der Planung des Weltquartiers durften die aus vielen Ländern stammenden Bewohner mitreden. Architekten waren kfs (Lübeck), Landschaftsarchitekten Sven Andresen (Lübeck) und Urte Schlie (Timmendorf). Foto: IBA Hamburg GmbH / Martin Kunze

Ein bedeutendes, wenngleich für Besucher wenig sichtbares Projekt der IBA ist die „Bildungsoffensive Elbinseln“. Es soll die Chancen der Bewohner verbessern und den Wohnstandort auch für Nicht-Wilhelmsburger attraktiver machen. Baulicher Kern ist das „Bildungszentrum Tor zur Welt“ von bof architekten mit Breimann & Bruun, das an einem Ort Gymnasium, Grund- und Sprachheilschule zusammenfasst und um Zusatzfunktionen ergänzt. Bürger vor Ort wurden frühzeitig und umfassend beteiligt – auch beim Raumprogramm, bei der Beurteilung der Wettbewerbsergebnisse und der Überarbeitung der Entwürfe.

Ein Musterbeispiel für Partizipation ist auch das „Weltquartier“. Das südliche Reiherstiegviertel, eine heute im Besitz der städtischen Wohnungsgesellschaft SAGA befindliche Arbeiterwohnsiedlung der 1930er-Jahre, wird seit 2009 zu einem Modellprojekt für „interkulturelles Wohnen“ umgewandelt. Die Wohnungen werden vergrößert und ­energetisch verbessert, die Grundrisse auf die Bewohner zugeschnitten, mehr und hochwertigere Freiräume und Gartenflächen angelegt – bei stabilen Mieten. Noch vor den konkreten Planungen wurde ein neuartiges Beteiligungsverfahren erprobt: Sogenannte „Heimatforscher“ erfassten in Gesprächen die Wünsche der aus zahlreichen Nationen stammenden Bewohner. Was macht diesen Ort schon jetzt zur Heimat für sie, was fehlt dazu? Es folgten Planungswerkstätten mit ihnen, deren Ergebnisse in die Ausschreibungen der Wettbewerbe einflossen. Hier siegten kfs architektur in Städtebau und Sanierung sowie Andresen Landschaftsarchitekten in der Freiraumgestaltung. Auch diese Ergebnisse wurden mit den Anwohnern diskutiert. So entstanden wohlgestaltete Wohnungen und Freiräume mit hohem Nutzwert. Im Weltquartier sind auch die kleinen Dinge bedeutend – zum Beispiel sorgten die Anwohner dafür, dass auf dem Quartiersplatz die Parkbänke nicht typisch deutsch nebeneinanderstehen, sondern einander gegenüber, damit man besser schwatzen kann.

Damit wird ein Leitgedanke dieser IBA offenbar: Am Anfang der Planungen steht immer die Erfassung und Bewertung des Vorhandenen, des örtlichen Kontextes. Das Neue soll nicht aufgepfropft werden, sondern sich aus dem Bestehenden heraus entwickeln und mit der Umgebung rückgekoppelt werden. So sind manchmal die unspektakulärsten zugleich die spannendsten Projekte der IBA – beispielsweise der „Welt-Gewerbehof“ südlich des Weltquartiers. Dort lag ein unscheinbares, chaotisches und wucherndes Gebiet mit Garagenhof, in dem lokale Gewerbetreibende mit einer Vielzahl von Waren handelten, Güter herstellten oder reparierten. Die IBA erkannte den Wert dieser lokalen Graswurzel-Ökonomie und setzte sich zum Ziel, die zumeist migrantischen Klein- und Kleinstbetriebe nicht zu verdrängen, sondern ganz im Gegenteil zu stärken und durch Raum für weitere Existenzgründer aus dem Stadtteil zu ergänzen. Jetzt entsteht hier ein kostengünstiger Gewerbekomplex von Dalpiaz + Giannetti Architekten. Er wird einfach, modular und flexibel gestaltet; das gesamte Areal überspannt ein transparentes Dach. Zudem wird die hofartige Anordnung der Werkshallen den Austausch zwischen den Betrieben fördern. Mehr braucht es manchmal nicht, um positive Entwicklungen anzustoßen.

Auch im Themenbereich Nachhaltigkeit ist der lokale Bezug unübersehbar. Auf Grundlage einer Bestandsanalyse wurden ein „Klimaschutzkonzept Erneuerbares Wilhelmsburg“ und ein „Energieatlas“ erstellt. Ziel ist es, Wilhelmsburg als ersten Stadtteil Hamburgs 2013 auf Klimaneutralität umzustellen und die Elbinsel bis 2050 vollständig durch regenerative und lokal erzeugte Energie zu versorgen. (Mehr zu den Energieprojekten hier.)

Lokal, sozial – aber auch finanzierbar?

Weiche Stoffe: Die textile Membranfassade des „Soft House“ mit integrierten Photovoltaik-Elementen wendet sich der Sonne zu (Kennedy & Violich Architecture, Boston). Foto: IBA Hamburg GmbH / Kennedy & Violich Architecture, Boston

Die IBA 2013 soll lokale Potenziale aufspüren und wecken, ohne die oftmals triste Realität zu beschönigen. Ist aber ihr starker Lokalbezug mit dem immer wieder erklärten Anspruch vereinbar, „international als Beispiel für einen nachhaltigen Umbau der Städte zu wirken“? Das proklamiert IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg. Die großen Fragen der IBA sind in globalem Kontext relevant, aber die Antworten müssen je nach Ort und Land wohl unterschiedlich ausfallen.

Eine weitere wichtige Frage: Wie kann man verhindern, dass der eingeleitete Wandel nicht zu einer Gentrifizierung führt und die Altbewohner verdrängt? Gerade diese Frage verunsichert und ängstigt die Wilhelmsburger Bürger zutiefst. Die IBA-Planer versprechen eine „Aufwertung ohne Verdrängung“ und versichern, dass es eine ständige Überwachung des Immobilienmarktes gebe. Bei ersten Anzeichen von Segregation werde man, so die Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau, Gegenmaßnahmen einleiten – beispielsweise soziale Erhaltungsverordnungen erlassen. Den besten Schutz vor Verdrängung bieten jedoch einstweilen die Eigentumsverhältnisse: Zwei Drittel des Wilhelmsburger Wohnungsbestandes ist in der Hand städtischer oder genossenschaftlicher Eigentümer. Eine andere, sehr reale Gefahr ist der Abbruch des Erneuerungsprozesses. Wenn nach 2013 die IBA GmbH abgewickelt wird und der Geldfluss versiegt, könnte es zur Stagnation kommen. Viele IBA-Prozesse sind jedoch langfristiger Natur und müssten über viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte von der Stadt finanziert und fortgeführt werden, wenn sie zu einem guten Ende kommen sollen. Angesichts der jahrzehntelangen Benachteiligung Wilhelmsburgs steht die Politik hier in der Pflicht.

Claas Gefroi ist freier Autor und Presse- und Öffentlichkeitsreferent der Hamburgischen Architektenkammer

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