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[ Einkaufszentren ]

„Die Center müssen sich urbanisieren“

Der Stadtforscher und Architekt Professor Wolfgang Christ verlangt eine reflektierte Debatte aller Seiten über den umstrittenen Bautyp und einen Lehrstuhl für Handelsarchitektur.

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Professor Wolfgang Christ ist Experte für Einkaufszentren

Interview: Nils Hille

Herr Professor Christ, wieso konnten sich die Einkaufszentren auf der grünen Wiese zunächst so gut durchsetzen?

Weil sie dort herkommen: In den USA wurden Shoppingcenter als Mitte von Suburbia gebraucht. In Deutschland gliedern sie sich gut in die entwickelnde Zwischenstadt ein. Sie sind vor allem effizient und passen das „Alles unter einem Dach“-Prinzip des Warenhauses an den autogerechten Siedlungsraum an. Neu ist die Mall als Mix aus Promenade und Marktplatz. Der Besuch im Center ist wie ein kurzes Eintauchen in den American Way of Life.

Doch dann rückten die Konsumtempel immer mehr in die Innenstädte.

Das war ein Ziel der Politik. Center sollten nicht länger mit der City konkurrieren. Es hat lange gedauert, bis Städte und Projektentwickler verstanden haben, dass die suburbane „Big Box“ sich der Stadt anpassen muss und nicht umgekehrt. Alle vier bis sechs Wochen wird ein neues Center in deutschen Innenstädten oder Stadtteilzentren eröffnet – bald werden es 500 sein.

Trotzdem werden die Einkaufszentren auch heute von Kritik begleitet …

Das ist auch gut so. Nur auf diese Weise geht es voran. Doch statt Kritik gibt es vielfach eine fundamentale Ablehnung des Formats an sich. Ich sehe den Hauptgrund darin, dass mit dem Center die Moderne sichtbar und erlebbar unmittelbar ins Stadtzentrum vordringt – genau wie vor mehr als 100 Jahren im Fall des Warenhauses. Das Center repräsentiert die Industrialisierung und Globalisierung des Handels. Die Kombination von Moderne und Mitte besitzt offensichtlich Sprengkraft, und das nicht nur bei Centern. Moderne und Zwischenstadt sind dagegen kein Problem – denken Sie an Discounter, Fachmärkte und Möbelriesen im Gewerbegebiet. Fachmärkte weisen rund viermal mehr Verkaufsfläche als Shoppingcenter auf. Dafür nehmen sie rund 100 QuadratkilometerGrundstücksfläche in Anspruch. Center stapeln ihr Angebot auf circa drei Prozent davon.

Sind die Einkaufszentren ein zu mächtiger Gegner für die kleinen, lokalen Einzelhändler?

Das war auch schon das Argument gegen die Warenhäuser, die heute zum Kernbestand der europäischen Stadt zählen. Um es klar zu sagen: Ohne Shoppingcenter ist der Innenstadthandel ein Auslaufmodell! Wir erleben zurzeit einen radikalen Wandel in der Handelskultur durch das Internet. In Großbritannien wird der Tod der „high street“ an die Wand gemalt. Die Stadt München beklagt, dass der Einzelhandel ausschließlich an nichtintegrierten Standorten wächst. Nur dort, wo Einkaufszentren in Stadtteilzentren integriert wurden, wie zum Beispiel in München-Pasing, stabilisiert sich die Lage. Welcher Wirtschaftszweig außer dem Handel investiert heute mehrere Hundert Millionen Euro in städtische Zentren? Die Renaissance der Mitte ist strukturell angewiesen auf das, was in Großbritannien „retail led regeneration“ genannt wird.

Welche Rolle spielt eine anspruchsvolle architektonische Gestaltung?

Oft eine deutlich zu geringe, und wenn sie wichtig erscheint, dann häufig nur für die Fassade. Das große Manko besteht darin, dass die Shoppingcenter-Industrie in der Regel nicht experimentierfreudig ist. Sie forscht nicht, sondern importiert einfach Erfolge aus anderen Ländern nach Deutschland, vor allem aus den USA, England und Holland. Hierzulande fehlen die speziell ausgebildeten Architekten. Wir müssen dringend an die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg anknüpfen, die mit Namen wie Alfred Messel oder Erich Mendelsohn verbunden ist. Es fehlen die Wertschätzung sowie Lehrstühle der Handelsarchitektur – im ganzen Land gibt es keine einzige Professur mit diesem Schwerpunkt.

Was sollte solch ein Professor vermitteln?

Shoppingcenter müssen mit der Stadtentwicklung Schritt halten und sich urbanisieren. Stadt und Handel sind ein unauflösliches Themenfeld: Nur wenn die City Qualität hat, werden die Menschen dort auch einkaufen. Stadtqualität und Architekturqualität bilden die Basis und den Rahmen einer urbanen Konsumkultur, denn diese kann man nicht digitalisieren. Und ohne direkte Beteiligung der Bürger wird es sie nicht geben. Alle Beispiele, die ich kenne, leben von aufwendigen, öffentlich debattierten und von hervorragenden Architektinnen und Architekten geprägten Projektentwicklungen, die durchaus ein Jahrzehnt und mehr in Anspruch nehmen können. Also etwa die „Fünf Höfe“ in München oder „Liverpool One“ in England. Die „Höfe am Brühl“ in Leipzig und das „MILANEO“ in Stuttgart versprechen ebenfalls einen Fortschritt in Sachen Baukultur des Konsums. Viele weitere solcher Projekte müssen folgen.

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