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Steffen Kröhnert, Bevölkerungswissenschaftler am Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung

[ Demographischer Wandel ]

„Die Mobilität der Älteren nimmt zu“

Steffen Kröhnert, Bevölkerungswissenschaftler am Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung, über mobile Senioren und ihre vielfältigen Lebensformen

Steffen Kröhnert, Bevölkerungswissenschaftler am Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung

Wie verändert der demographische Wandel das Land?

Der demographische Wandel vollzieht sich unter zwei Aspekten: Da ist zum einen die demographische Alterung, also dass immer mehr Menschen in einem höheren Lebensalter sind, und zum anderen die Tatsache, dass die Bevölkerungszahl zurückgeht. Die Alterung betrifft ausnahmslos alle Regionen. Unterschiede finden sich dabei lediglich im Hinblick auf das Ausmaß. Es gibt Regionen, die schneller altern, weil die Jungen weggehen, und es gibt Regionen, die altern langsamer, weil junge Menschen dort hinziehen. Doch betrachtet man die Entwicklung auf der Ebene von Landkreisen und kreisfreien Städten, werden alle Regionen eine deutliche Zunahme von älterer Bevölkerung haben. Diese Alterung verläuft aber dort langsamer, wo mehr junge Menschen hinziehen oder mehr Kinder geboren werden.

Lässt sich Deutschland demographisch in „junge“ und „alternde“ Regionen unterteilen?

Jung sind dynamische Großstädte wie Berlin, Dresden oder Leipzig. Junge Regionen sind allesamt prosperierende Ballungsräume mit Zuzug: München, Hamburg, das Rhein-Main-Gebiet, das Rheinland. Alte Regionen sind jene, die schon jahrelang unter Abwanderung leiden. Das betrifft alle Regionen außerhalb der großen Städte in Ostdeutschland, das Saarland und die ländliche Peripherie, wie Oberfranken, Nord- und Mittelhessen und Südniedersachsen. Es gibt noch eine junge Region, die nicht in dieses klassische Muster passt, und das ist das katholische Münsterland im Westen. Es hat eine relativ hohe Kinderzahl und eine nicht ganz so ausgeprägte Abwanderung.

Aber es gibt doch auch Metropolregionen, die einen Bevölkerungsrückgang registrieren, wie zum Beispiel das Ruhrgebiet?

Hier verlieren sowohl die großen Kernstädte wie Dortmund und Essen als auch kleinere Städte am Rand Einwohner. Es gibt keine Dynamik „zurück in die Stadt“, anders als zum Beispiel in  München. Hier haben wir eine Stadt, die sehr stark wächst, und ein Umland, das zwar langsamer, aber gleichfalls wächst. Es gibt aber auch Beispiele, in denen die Stadt wächst, aber das Umland schrumpft, etwa Dresden und Leipzig. Ein wachsendes Umland und darin ein schrumpfender Kern findet sich nur noch bei  Mittelstädten wie Bremerhaven, Siegen oder Braunschweig. Von 80 Großstadtregionen in Deutschland sind das vielleicht fünf oder sechs. Noch in den 90er-Jahren lief die Entwicklung überall in Deutschland raus aus der Stadt ins Umland.
Die räumliche Mobilität, also Zu- und Abwanderung, ist ein klassisches Merkmal von jüngeren Altersgruppen, die wegen Ausbildung, Studium oder Arbeitsplatzwahl weg- bzw. zuziehen. Ältere Generationen gelten als sesshaft und immobil, getreu dem Sprichwort vom alten Baum, den man nicht mehr verpflanzt. Gilt das noch?
Die Mobilität in Deutschland hat auch bei älteren Bevölkerungsgruppen zugenommen. Traditionell gab es das nicht, anders als in den USA, wo eine solche Mobilität im Alter seit jeher völlig normal ist. Nach wie vor gilt für Deutschland, dass mehr als 50 Prozent der Wanderungsbewegungen auf das Konto der 18- bis 30-Jährigen geht. Danach nimmt die Zahl kontinuierlich ab, um dann, in der Altersgruppe um 65, wieder kurz anzusteigen. Wir können hierzulande zwei Entwicklungen feststellen: Die Mobilität der Älteren aus wohlhabenderen Schichten steigt. Und dann gibt es natürlich noch eine Mobilität, die mit Bedürftigkeit zu tun hat und in Alters- und Pflegeheime führt.

Gibt es Gegenden, Orte oder Städte, die von dieser neuartigen Mobilität profitieren?

Diese, wie wir sagen, Ruhesitzwanderung führt in landschaftlich attraktive Regionen. Das ist eine Wanderung, die aus den Städten und Ballungszentren hinausführt – zum Beispiel nach Rheinland-Pfalz mit seinen Weinanbaugebieten und der idyllischen Natur. Das Ballungsgebiet Rhein-Main hingegen verzeichnet einen Verlust bei dieser Altersgruppe. Nur wenige Städte profitieren von dieser Entwicklung. Dazu gehören unter anderem Weimar, Görlitz und Baden-Baden.

Das sind ja eher kleinere Städte.

Ja, das sind eher gemütliche Kommunen, in denen es ein bisschen ruhiger zugeht, die aber eine komplette und gut ausgebaute medizinische, soziale und kulturelle Infrastruktur und auch eine gewisse Überschaubarkeit bieten. Das ist diesen Zuwanderern wichtig. Baden-Baden ist in Deutschland die Stad mit dem höchsten Anteil älterer Menschen. Dort kann man das auch gut auf den Zuzug zurückführen.

Die Generation der heute etwa 45- bis 60-Jährigen, die sogenannten Babyboomer, war und ist beruflich, räumlich und sozial ungleich mobiler als ihre Eltern. Wird sie das auch im Rentenalter sein?
Das lässt sich noch nicht voraussagen. Ich vermute aber, dass bei den Babyboomern und den folgenden Generationen die Bereitschaft steigen wird, sich räumlich zu verändern. Diese Bereitschaft zur Mobilität steigt mit dem Bildungsstand; die heutige Rentnergeneration verfügt  zu 70, 80 Prozent nur über einen einfachen Schulabschluss und empfindet Mobilität stärker als Unsicherheitsfaktor. Doch in absehbarer Zeit werden mehr Menschen umziehen wollen, weil sich ihre Bedürfnisse im Alter ändern. Auch wird die Bereitschaft steigen, sich auf andere, gemeinschaftliche Wohnformen einzulassen. Diese Generation hat schon vieles jenseits der klassischen Familien- und Wohnformen ausprobiert und wird vermutlich auch im Alter nach sehr unterschiedlichen, individuellen Bedürfnissen entscheiden. Wir werden da mehr Bereitschaft zur räumlichen Veränderung und mehr Vielfalt an Wohnformen erleben. Der Spruch vom alten Baum, den man nicht mehr verpflanzt, wird jedenfalls seine Relevanz verlieren.

Das klingt jetzt alles gar nicht mehr so grau, sondern recht bunt. Wir müssen also keine Angst haben, dass uns hier wie in den USA Altersghettos nach dem Vorbild reiner Rentnerstädte  vom Typ Sun City drohen?

Es wird beides vorkommen – Sun City und gemischte Mehrgenerationen-Wohnformen. Im Jahr 2050 wird mehr als ein Drittel unserer Bevölkerung über 65 Jahre alt sein. Wie sollen die sich noch mit Jüngeren mischen? Es wird schon allein aus diesen Gründen Sun Cities geben, die aber im Unterschied zu Amerika niemand eigens bauen muss. In bestimmten Regionen Ostdeutschlands leben in 20 Jahren keine jungen Leute mehr, selbst wenn die Menschen sich das wünschten. Aber es wird auch hier eine große Vielfalt unter den Menschen geben, die dann alt sind.

Das Interview führte Cornelia Dörries.

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