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[ Systeme in der Praxis ]

Vom Prototypen zur Serienreife

Schritt für Schritt: Wie sich energieeffizientes Bauen nachhaltig entwickelt.

Dr. Michael Bauer, Peter Mösle

Für den bewussten Einsatz von Energie werden die Techniken zwar stets weiterentwickelt, die Grundzüge sind jedoch seit Langem bekannt. Aber energieeffizientes Bauen allein reicht heutzutage nicht mehr aus, wenn Gebäude wirklich nachhaltig sein sollen. Dazu gehören auch bauökologische Materialien ohne Schadstoffemissionen, nachwachsende Materialien aus nachhaltigem Anbau und mit wenig Primärenergie hergestellt sowie langlebige Konstruktionen und Produkte mit hoher Recyclingfähigkeit und niedrigen Lebenszykluskosten.

Gebäude, die diese Attribute erfüllen, heißen international Green Building und können nach anerkannten Green-Building-Labeln wie DGNB, LEED, BREEAM zertifiziert werden. Green Buildings erfordern somit eine ganzheitliche Betrachtungsweise. Eine solche liegt einem Gebäude- und Energiekonzept zugrunde, dessen Prototyp bereits im Jahr 2000 entwickelt und jetzt mit dem DGNB-Siegel in Gold ausgezeichnet wurde. Vorausgegangen war eine kontinuierliche Weiterentwicklung.

Prototyp: Der Bürobau „Obere Waldplätze 11“ (OWP 11) in Stuttgart-Vaihingen (PSK Architekten, Stuttgart) erhielt das DGNB-Siegel in Gold.

Der Prototyp ist das Bürogebäude „Obere Waldplätze 11“ (OWP 11) in Stuttgart-Vaihingen (PSK Architekten, Stuttgart), das im März 2002 bezogen wurde. Die Planung der Systeme zur Heizung und Kühlung des Gebäudes folgte konsequent dem Weg der Bedarfsentwicklung. Grundlagen waren die geplante Nutzung und der darauf abgestimmte winterliche und sommerliche Wärmeschutz sowie eine Fassadentechnik, die minimierte Heiz- und Kühllasten ermöglicht. Darauf aufbauend wurde ein „Niedrigtemperaturheiz- sowie Hochtemperaturkühlsystem“ entwickelt, das eine optimale Nutzenübergabe mit bedarfsgerecht bemessenen Heiz- und Kühlleistungen gewährleistet.

Die geringen Übertemperaturen ermöglichten den wirtschaftlichen Einsatz regenerativer Wärme- und Kälteerzeugungssysteme. Somit führt ein niedriger Gebäudeenergiebedarf für Heizen und Kühlen auch zu einem geringen Energieaufwand für die entsprechende Anlagentechnik. Neben den Anlagenfunktionen Heizen und Kühlen wurde zudem das Lüften so entwickelt, dass mit minimalem Energieeinsatz der ­hygienisch erforderliche Außenluftstrom ohne Behaglichkeitseinschränkungen zum Arbeitsplatz gelangt. Bauökologische Materialien ohne Schadstoffemissionen spielten bereits damals eine wichtige Rolle.

Das Raumklimakonzept mit thermisch aktivierten Decken, mit in die Decken integrierter Randstreifentemperierung und mit in die Decken eingelegte Lüftungsleitungen zeigt die Grafik rechts. Mit Blick auf das Nutzenübergabeverhalten ist im Heizfall neben der thermischen Behaglichkeit die Reaktionsgeschwindigkeit des Nutzenübergabesystems zu berücksichtigen. Das erfordert neben einer schnellen Regelung niedrige Be­triebs­temperaturen sowie eine geringe Speicherkapazität des zu regelnden Raumheizsystems.

Grafik 1: Raumklimasystem im Stuttgarter Bürogebäude OWP 11 mit thermisch aktivierten Decken, Randstreifentemperierung und Schichtlüftung

Parallel dazu ist bei ganzheitlicher Betrachtungsweise der Kühlfall zu berücksichtigen. Er benötigt durchaus Speicherkapazitäten, aber auch eine bedarfsgerechte Regelung der Kühlleistung für eine gute Nutzenübergabe in Kombination mit möglichst „hohen“ Betriebstemperaturen. Wie in Grafik 1 dargestellt, wird auf Basis dieser Überlegungen das Nutzenübergabesystem für Heizen und Kühlen als Kombination aus einem speicherbehafteten Grundlastsystem (die thermisch aktivierte Decke) und einem mit wenig Speichermasse schnell reagierenden, oberflächennahen Randstreifentemperierelement aufgebaut.

Die so entstehenden großen Flächen führen zu geringen Übertemperaturen beim Heizen beziehungsweise geringen Untertemperaturen beim Kühlen.

Im Heiz- und Kühlfall dient die thermisch aktivierte Decke als Grundlastsystem, das nachts beladen wird. Einzelraumfühler steuern die Randstrei­fentemperierung so, dass sie Heiz- und Kühlleistung tagsüber bedarfsgerecht abgibt. In der Übergangszeit wird im Wesentlichen nur die Randstreifentemperierung für Heiz- und Kühlzwecke eingesetzt.

Grafik 2: Nachweisführung Analyse des Primärenergieverbrauchs des OWP 11 im Betrieb (Uni Stuttgart, IGE)

Die Wärme- und Kälteerzeugung erfolgt mit Geothermie über Erdsonden und Wärmepumpe. Die Anlagentechnik kann im Sommer für den Kühlbetrieb und im Winter für den Heizbetrieb eingesetzt werden – so kommt die Kälteerzeugung ohne zusätzlichen Primärenergieeinsatz aus. Die so erzielbaren Betriebskosteneinsparungen erlauben zusätzliche Investitionen in innovative und energiesparende Gebäudetechnik. Im Heizbetrieb bringt die Wärmepumpe die dem Erdreich entziehbare Wärme auf Betriebstemperatur – maximal circa 32 Grad, was eine Arbeitszahl von 4 bis 5 ermöglicht.

Im Kühlbetrieb führt ein Wärmetauscher die dem Gebäude entzogene Wärme dem Erdsondenfeld zu. Neben dem Vorteil einer Kühlung ohne Kältemaschine hat die Rückführung von Wärme in das Erdreich im Sommer zudem den Effekt, dass der im Winter durch den Wärmeentzug abgekühlte Boden stärker regeneriert. Eine Langzeitveränderung der Erdreichtemperaturen im Bereich des Erdsondenfeldes kann vermieden werden, was auch Ziel einer nachhaltigen Nutzung regenerativer Energiequellen sein sollte. Den energieeffizienten Betrieb bestätigten bereits im zweiten Betriebsjahr unabhängige Messungen der Universität Stuttgart, Institut für Gebäudeenergetik (IGE). Die Messergebnisse wurden zudem den damaligen Simulationsrechnungen gegenübergestellt (siehe Grafik 2).

Kreissparkasse Tübingen (Auer+Weber+ Assoziierte, München, Stuttgart): transparentes Energiesparhaus mit bauökologischen Materialien, Geothermie und neuen, akustisch wirksamen ­Randstreifentemperierelementen

Die erste Evolutionsstufe dieses Konzepts kam beim Projekt Kreissparkasse Tübingen (Auer+Weber+Assoziierte, München, Stuttgart), fertiggestellt 2006, zum Tragen. Für das vollständig transparente Gebäude wurde eine Fassadenkonzeption mit Dreifachverglasung und einem neuartigen hochwärmedämmenden Aluminiumrahmen entwickelt und optimiert. Ein Wärmedämmkeil konnte den U-Wert des Rahmens fast halbieren.

Die zweite Evolutionstufe folgte bei den Randstreifentemperierelementen. Typischerweise haben Gebäude mit thermisch aktivierten Decken ein Problem mit der Raumakustik. Die Kombination des Randstreifentemperierelements mit einem Hochfrequenzabsorber und einer tageslichtreflektierenden Oberfläche hat dieses Problem deutlich reduziert.
Der Bürogebäude der Vereinigten Hannoverschen Versicherung in Hannover (Architekten BKSP, Hannover) hat diese Konzeption für höhere Belegungsdichten und eine völlig flexible Raumnutzung weiterentwickelt. Der demnächst fertiggestellte Bau besitzt eine der größten Geothermieanlagen mit Erdsonden und Wärmepumpe in Deutschland. Zudem wird ein gebäudeverbindendes Atrium nachts natürlich gelüftet.

„Spiegel“-Neubau, Hamburg (Henning Larsen Architects, Kopenhagen): Energiesparhaus mit bauökologischen, nachwachsenden Materialien mit geringem Primärenergieeinsatz und guter Ökobilanz, Geothermie, thermisch aktivierten Bauteilen und Nachtlüftung. Schon vor der Fertigstellung ausgezeichnet mit dem HafenCity-Umweltzeichen in Gold.

Die jüngste Entwicklungsstufe ist der aktuelle Neubau des „Spiegel“ auf der Ericusspitze in Hamburg (Henning Larsen Architects, Kopenhagen). Neben thermisch aktivierten Decken, Randstreifentemperierelementen, natürlicher und maschineller Lüftung, Geothermie und Wärmepumpe setzen die Planer konsequent auf nachwachsende Rohstoffe mit niedrigem Primärenergieaufwand. Die innere Fassade der doppelschaligen Konzeption besteht aus Holz, was gute Wärmedämmung und Recyclingfähigkeit gewährleistet. Des Weiteren werden über eine bauökologische Materialberatung durchgängig Materialien aus nachhaltigem Anbau ohne Schadstoffemissionen und nachweislich guter Ökobilanz eingesetzt. Das im Bau befindliche Gebäude hat bereits vergangenes Jahr das HafenCity-Umweltzeichen in Gold erhalten.

Resümee: Das Planen, Bauen und Betreiben von innovativen energiesparenden Gebäuden mit niedrigen Lebenszykluskosten und bestmöglicher Ökobilanz ist nur erreichbar, wenn konsequent eine nachhaltige Weiterentwicklung basierend auf bewährten Techniken erfolgt. Gebaute Beispiele zeigen, dass das funktioniert und Gebäude auch noch nach Jahren Vorbildprojekte sein können – wie das Bürogebäude OWP 11 in Stuttgart-Vaihingen. Die Evolutionsstufen zeigen die Chance, innovative Lösungen im Synergiefeld von Energieeffizienz, Materialien, Komfort, Luftqualität und Nachhaltigkeit im gesamten Lebenszyklus von Gebäuden bei ganzheitlichen Ansätzen auch in Zukunft weiterhin zu finden.

Dr.-Ing. Michael Bauer, Dipl.-Ing. Peter Mösle, Drees & Sommer Advanced Building Technologies GmbH, Stuttgart.


Literaturhinweis: Bauer, M.; Mösle, P.; Schwarz, M.: Green Building – Konzepte für nachhaltige Architektur, Callwey Verlag 2007.

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