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[ Stadtschloss Berlin – Contra ]

Kopflos bauen

Die Gegenposition: Mit der Schlossrekonstruktion droht eine gewaltige Blamage

Innenkontraste: Barock und Rationalismus stoßen im Inneren hart aufeinander, was Puristen beider Richtungen nicht gefällt.

Jürgen Tietz
Sie sei „sehr zufrieden über die Entscheidung des Preisgerichtes, insbesondere auch über die Rangfolge, welche widerspiegelt, dass eine fundierte und qualifizierte Diskussion geführt wurde“, ließ Berlins Senatsbaudirektorin Regula Lüscher in einer Pressemitteilung nach der Prämierung von Franco Stellas Entwurf wissen. Wie bitte? Eine „fundierte und qualifizierte Diskussion“ war ja wohl auch das Mindeste, was man beim Architekturwettbewerb für diesen zentralen Ort Berlins erwarten durfte. Oder war es eine allgemeine Lethargie, die man angesichts der einschnürenden Vorgaben des Parlaments für die Wettbewerbsbeiträge befürchten musste? Ganz ehrlich: Wer mag eigentlich das Dauerthema „Berliner Schloss“ überhaupt noch hören, besitzt es doch inzwischen den Charme und Geruch alter Socken?

Vielleicht aber sollte man nicht zu schwarzsehen. Vielleicht wollte Frau Lüscher uns mit ihrer Presseerklärung ja etwas anderes mitteilen. Nämlich, dass sie angesichts des gut dotierten Sonderpreises für das interessante ziegelrohe Projekt von Kuehn Malvezzi noch Hoffnung sieht, dass Architektur in Berlin möglich ist! Doch die Berliner Architekten haben leider nur einen Sonderpreis erhalten, mit dem die „fortschrittlichen“ Kräfte der Jury ruhig gehalten wurden. Hurra, die Staatsraison trägt einen Sieg davon! Die Stadt aber bekommt Franco Stella. Franco wen? Oder doch Francesco? Ehrlich gesagt ist es ziemlich egal, denn der dürftige Achtzigerjahre-Charme eines verspäteten rationalistischen Aldo-Rossi-Entwurfes erweist sich als eine Konsenssoße, die nun über die zuckersüße Schlossrekonstruktionstorte gegossen wird. Ein Griff nach den Sternen sieht anders aus. Und wer weiß, vielleicht bricht in den nächsten Wochen ja wieder eine Diskussion auf mit dem Ziel, das Schloss lieber ganz zu rekonstruieren.

Zukunft ohne Aufgabe

Der heute noch ungeborene Isidor Iltis jedenfalls, der 2035 seine Masterarbeit im Sonderforschungsbereich „Frühe architektonische Repräsentation der Berliner Republik“ der DFG über die Schlossrekonstruktion verfassen wird, erhält mit der Entscheidung für den Entwurf Stellas zusätzliches Material an die Hand. Dabei ist das Thema „Schlossrekonstruktion“ für kommende Generationen von Soziologen, Politikwissenschaftlern, Historikern und Kunstwissenschaftlern ohnehin ein gefundenes Fressen! Was für ein eindrucksvolles kulturelles und politisches Signal sendet die Berliner Republik damit in die Welt!

Nein, nein, Geschichtsrevisionismus sei das nicht, wird beschwichtigt. Man rekonstruiert in Dessau ja auch die Moderne von Walter Gropius. Aha – das ist also weniger geschichtsrevisionistisch, wenn die Spuren von „Drittem Reich“ und DDR auch an Bauten der Moderne getilgt werden! Morgen sieht dann alles wieder aus wie vorgestern. Wie singt Peter Fox derzeit so erfolgreich: „Wenn’s dir nicht gefällt – mach’s neu“. Auch wenn das keine denkmalgerechte Haltung ist – schön wär’s ja angesichts der aktuellen Retrowellen. Schließlich ist es eine Illusion, zu glauben, dass in dreißig Jahren das Publikum noch an der „Originalität“ der Replikanten zweifeln wird. Das bedeutet einen Sieg auf der ganzen Linie, denn mit den derart geschlossenen „Stadt­wunden“ schließen wir auch gleich noch die unliebsamen Kapitel der Geschichtsbücher zu – dafür gibt es schließ­lich die ritualisierte Erinnerung an Gedenktagen und Gedenkorten. Aber Achtung: Geschichte ist zwar immer Konstrukt, aber nicht jedes Konstrukt taugt zur Geschichte!

Auf Isidor Iltis’ Masterarbeit jedenfalls bin ich höchst gespannt. Vielleicht widmet er sich darin ja neben der bilddiktierten Fassadenwirkung des Schlosses als deutschem Seelenbalsam auch anderen Pfaden der zeitgenössischen Debatte. Beispielsweise der Produktpiraterie, gegen die Staat und Wirtschaft massiv vorgehen. Verdienen sich doch in Asien genügend Firmen mit Plagiaten westlicher Markenprodukte – kurz mit Fälschungen – eine goldene Nase. Doch während der Zoll die falschen Turnschuhe zu Recht der Müllverwertung zuführt, werden die gebauten Fälschungen im eigenen Land medial bejubelt. Wird da nicht mit zweierlei Maß gemessen? Würden an den Museumswänden so hemmungslos banale Fälschungen hängen, wie sie derzeit in unseren Städten nachgebaut werden, ein Schrei der Entrüstung würde durch all jene konservativen Feuilletons rauschen, die derzeit nach Rekonstruktionstoleranz verlangen – und mancher Museumsdirektor würde in die Wüste geschickt werden.

Vielleicht aber rücken dann auch die Inhalte des Schlosses ins Blickfeld. Über die wurde bei der aktuellen Pressekonferenz nämlich herzhaft geschwiegen. Fragen nach der Nutzbarkeit der Stellaschen Räume für das Humboldt-Forum und die herausragende Sammlung außereuropäischer Kulturen der staatlichen Museen wurden von Minister und Jurypräsident milde belächelt – aber nicht subs­tanziell beantwortet. Immer noch nicht begriffen? Beim Schloss geht es allein um den Zeichenwert.

Berlin wird retrograd

Besonders hübsch war vor diesem Hintergrund allerdings die Phalanx der dritten Preise, mit denen die Jury einige Traditionalisten abgestraft hat. Ohnehin entlockten die eingereichten Entwürfe manchem Jurymitglied lediglich ein mitleidiges „Mehr war halt nicht drin“. Kurz und gut: Mit dem Schloss bekommt Berlin, was es verdient! Gebautes Mittelmaß im historischen Kostüm. Das Ärgerliche daran ist nur, wenn man sich vorstellt, was möglich gewesen wäre – an dieser Stelle der Stadt und in Berlin überhaupt.

Angesichts der peinlichen Doppelspitze aus Rekonstruktion und Stella sollte nicht aus dem Blick geraten, dass die dringend notwendige Auseinandersetzung mit Tradition und Ort, mit Geschichte und Handwerklichkeit keineswegs in verfälschende Rekonstruktionen und popelige Historismen münden muss. Doch welches Potenzial hier liegt, das dringt offenbar nur langsam ins Bewusstsein. Da mag es für manche geschichtsverquasten Deutschen einmal mehr hilfreich sein, zu den kleineren Nachbarn zu schauen, in die Schweiz etwa oder – steuerpolitisch weitaus unverfänglicher – nach Südtirol.

Was bleibt?

Die doppelte Mutlosigkeit des Berliner Schlossvotums legt die Frage nahe, welche Berliner Bauten der Nachwendezeit wirklich wichtig sind, die ein Zeichen setzen – oder zumindest für Berlin stehen. Also befragte ich kurzerhand Freund und Feind, freilich nicht nur Architekten und Kritiker. Das Ergebnis war zumeist ein zögerndes Nachdenken – was ja wohl kaum als ein gutes Signal zu werten ist. Also gut, fragen wir nach: Was ist beispielsweise mit den Bundesbauten von Stephan Braunfels? Jammervolles Stöhnen als Antwort. Aber Axel Schultes Kanzleramt? Gleichmütiges Schulterzucken. Wenigstens der Potsdamer Platz? „Hast du sie noch alle?“ Nur langsam tröpfelten dann doch einige Antworten: Fosters Reichstagskuppel wurde genannt, die hat wenigs­tens mediale Wirkung, die eine oder andere Botschaft fand Erwähnung und – klar – der Gehry am Pariser Platz.

Das architektonische Berlin der Nachwendezeit, das machte die private Umfrage deutlich, erweist sich als Manifest des Mittelmaßes. Nun mag man einwenden, darum geht es ja: um das gebaute Graubrot. Richtig! Auch das braucht die Stadt. Aber sonst nichts anderes? Für die Höhepunkte stehen dann zukünftig das Reko-Schloss und das Riesenrad am Zoo? Nicht einmal in der City-West hat Berlin in den letzten 15 Jahren seine Skyline gebacken bekommen, in einem Zeitraum, in dem andere Weltmetropolen explosionsartig wuchsen. Glück gehabt, mag man einwenden – und doch stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage nach der Wertigkeit, die Baukultur und Baukunst in der Stadt besitzen. Aber ach, auch da setzt der Schlosswettbewerb ein Zeichen, denn er steht für Berlin – für brachiale Bräsigkeit und rückwärtsgewandte Mutlosigkeit.

Die Revision der Geschichte schreitet voran und mit ihr die architektonischen Replikanten. Nur gut, dass die Finanzkrise das Land derzeit fest im Griff hat. Und so schließt Isidor Iltis’ Masterarbeit von 2035 mit dem Satz: „Die explodierenden Baukosten verhinderten die Verwirklichung der umstrittenen Berliner Schlossplanungen und ersparten damit den deutschen Politikern sowie der Architektenschaft – trotz der ,fundierten und qualifizierten Diskussion‘ im Preisgericht – eine gewaltige Blamage.“

Jürgen Tietz ist Kunsthistoriker und Journalist in Berlin.


Lesermeinungen zur Schlossdiskussion

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