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[ Holzbau ]

Über sieben Brücken

Eine Baugruppe aus Berlin hat mit ihrem Wunsch nach ökologischer Bauweise ein einzigartiges Projekt initiiert.

Ansicht der Fassade: So wird sich der fertige ­Holzbau ab März 2008 in den ­Berliner ­Bestand ­einpassen. Über die links im Bild ­dargestellten ­Brücken ­werden die Wohn­etagen mit dem Treppenhausturm ­verbunden.

Ein Mehrfamilienhaus aus Holz mit sieben Geschossen: Das hat es bisher in ganz Europa noch nicht gegeben. Es begann vor anderthalb Jahren mit dieser Anfrage der Baugruppe e3 an das Architekturbüro Kaden Klingbeil: „Wir möchten eine Baulücke am Prenzlauer Berg schließen und sind sehr daran interessiert, unser Mehrfamilienhaus mit sieben Etagen in Holzbauweise zu errichten. Ist das technisch möglich und lässt dies das Berliner Baurecht zu?“ Inzwischen steht der Rohbau des Pilotprojektes. Möglich machen das Projekt spezielle brandschutztechnische Maßnahmen sowie Ausnahmegenehmigungen vom Baurecht.

Das Architekturbüro Kaden Klingbeil verwirklicht seit Jahren energetisch effiziente Häuser fast ausschließlich in Holz. Der Zufall wollte es, dass die Architekten ein paar Wochen vor der Anfrage den Bau eines mehrgeschossigen Wohngebäudes in Mischbauweise diskutiert und zum Teil konzipiert hatten. Somit kannten sie sich mit den planerischen, rechtlichen und brandschutztechnischen Problemen des Geschosswohnungsbaus in Holz bestens aus.

Zudem war die Berliner Bauordnung im Februar 2006 novelliert worden und lehnt sich seither an die Musterbauordnung 2002 an. Mit diesem Schritt hat sich die Hauptstadt prinzipiell dem innerstädtischen Bauen in Holz geöffnet. So erlaubt die Neufassung der Bauordnung die Brandschutzklasse K60 respektive hoch feuerhemmende Konstruktionen – allerdings nur in Gebäuden der Gebäudeklasse 4. Also Gebäude, deren höchstes Geschoss – gemessen an der Oberkante des Fertigfußbodens – maximal 13 Meter erreicht.

Der von e3 gewünschte siebenstöckige Wohnturm fiel nicht unter diese Kategorie: In Anlehnung an die angrenzenden Bauten gipfelte der oberste Fertigfußboden in einer Höhe von 22 Metern. Solche Bauten lassen sich laut Berliner Bauordnung nur mit einer feuerbeständigen Konstruktion erstellen, der sogenannten F90 AB. Sie erfordert jedoch nicht brennbare Baustoffe. Architekt und Projektleiter Tom Kaden: „Wir mussten daher das Berliner Baurecht an zwei Stellen verlassen und zwei Genehmigungen im Einzelfall einholen.“ Punkt eins erforderte die Befreiung von § 27, Absatz 1 der Berliner Bauordnung. Statt die tragenden Bauteile feuerbeständig in F90 AB auszubilden, beantragten die Planer, sie hoch feuerhemmend entsprechend der Kapselung K60 auszubilden. Die zweite Befreiung betraf § 31, Absatz 1 der Berliner Bauordnung: Anstelle von feuerbeständigen AB-Decken wurde die Genehmigung einer mindestens hoch feuerhemmenden Konstruktion beantragt, gegebenenfalls in F90 BA.

Entwurf berücksichtigt Brandschutz

Zum Erfolg der durchgesetzten Befreiungen sagt Tom Kaden: „Wir haben von Anfang an alle Beteiligten an einen Tisch geholt, inklusive Genehmigungsbehörde und Brandschutzsachverständigen.“ Schon in einer sehr frühen Bauphase lieferten die Brandschutzsachverständigen ein Brandschutzkonzept, das demzufolge bereits in der Entwurfsphase berücksichtigt werden konnte.

Übersicht: Darstellung des Rohbaus und seiner konstruktiven Struktur.

In Anlehnung an die Anforderungen planten die Architekten ein Gebäude mit einem frei stehenden Treppenhaus aus Stahlbeton. Der etwa 2,80 Meter breite und zehn Meter lange Kubus ist komplett offen und wird nach der Baufertigstellung begrünt. Über drei Meter breite Stahlbetonstege – jede Wohneinheit erhält einen eigenen Zugang und ebenso eine eigene Brücke – gelangen die Bewohner in ihr Reich. Dank dieser Lösung gewinnt die Baulückenbebauung eine dritte Fassade zur Straßen- und Hoffassade hinzu. Der Luftraum zwischen Wohngebäude und Erschließungskern variiert in Form von Einschnitten und Gemeinschaftsterrassen. Er erleichtert die Belichtung der Wohnungen und öffnet Sichtachsen durch den Baukörper hindurch. Nicht zuletzt vereinfacht er den vorbeugenden Brandschutz.

„Wir mussten unsere Freistellungen natürlich durch bestimmte Maßnahmen kompensieren“, erinnert sich der Planer. Eine davon betraf die Möglichkeit, dass die Feuerwehr in den Innenhof einfahren kann. Dies sei zunächst auch geplant gewesen, schmunzelt er, doch bei der Ortsbesichtigung meinten die Zuständigen mit Blick auf den Entwurf und die bauliche Ausführung respektive das frei stehende Treppenhaus aus Stahlbeton und die Grundrisse: „Die Zufahrt brauchen wir nicht. Das klappt auch so.“ So muss e3 nun lediglich Brandschutzmelder in ausgewählten Bereichen der sieben Etagen einbauen.

Der konstruktive Trick

Die einzelnen Geschosse darf die Baugruppe dafür bis auf zwei Kernbereiche aus Stahlbeton komplett in Holz errichten. Jene beiden Kerne liegen in der Mitte des Gebäudes und bündeln sämtliche Medien. Um sie herum hat Kaden Klingbeil für jeden Bauherrn einen individuellen Grundriss konzipiert. Keine Wohnung gleicht einer anderen. Jedes Geschoss nimmt nur eine einzige Einheit auf. Die Größen variieren zwischen 120 und 150 Quadratmetern. Terrassen und Rücksprünge gleichen die Kubatur aus. Im Parterre gibt es eine Gewerbeeinheit – in die die Architekten selbst ihr Büro verlegen wollen. Lediglich die zweite Etage teilt sich eine 120 Quadratmeter große Zimmerflucht mit einem Appartement, wobei jeder Bereich eine eigene Zugangsbrücke erhält.

Detailschnitt: Aufbau der Außenwand

Entsprechend klar ist die Gebäudekonstruktion: Tragende Pfosten und Riegel werden durch Feldflächen respektive Massivholzwände ausgesteift. Von außen sieht das allerdings keiner. Eine Haut aus mineralischem Putz lässt das Gebäude wie einen Massivbau wirken. Darunter verbergen sich 100 Millimeter dicke Mineralwolllamellen. Sie bestechen durch eine höhere Rohdichte als handelsübliche Dämm­platten und optimieren somit den Wärmeschutz ebenso wie den Brandschutz. Die als nächste Schicht verbauten 12,5 Millimeter Fermacellplatten sind im Rahmen der Kapselungsklasse brandschutztechnisch relevant. Es folgt das statisch notwendige Gerüst: 30/36 Zentimeter dicke Stützen, deren Zwischenräume mit Massivholzwänden zwischen 16 und 20 Zentimetern Stärke ausgefacht sind. Andreaskreuze wirken in dieser Ebene zusätzlich als Windverbände. Zum Innenraum hin schließen zwei Lagen aus 18 Millimeter Fermacellplatten den Aufbau ab.

Knotenpunkt der Konstruktion: Acht individuell gefertigte ­Stahlelemente verbinden die Riegel mit den Pfosten.

Die einzelnen Stockwerke trennen Holzbetonverbunddecken. Die Untersicht aus Holz bleibt sichtbar. Auf diese 16 Zentimeter dicke Holzlage folgt eine zehn Zentimeter dicke Betonschicht. Der weitere Bodenaufbau ist klassisch: Trittschalldämmung, Trägerplatten für die Fußbodenheizung, Zementestrich, Belag. „Hier kommen wir noch einmal zum Grundrisskonzept“, wirft Kaden ein. Neben den auch statisch relevanten Stahlbetonschächten verlaufen deckengleiche Unterzüge von der Brandwand zur sogenannten dritten Fassade. Auf ihnen liegen die Holzverbunddecken auf. Die­se Raffinesse macht tragende Innenwände unnötig.

Das Dach ist im selben Stil aufgebaut wie die Holzverbunddecken, jedoch stärker gedämmt. Mindestens 20 Zentimeter Dämmschicht isolieren das oberste Stockwerk. Ein Gründach begrenzt den Aufbau.

Erklärtes Ziel: Holz als innerstädtisches Baumaterial

Der Rohbau des im KfW-40-Standard geplanten Wohnturms ist so gut wie fertig: Nur eine Woche pro Geschoss hatten die Architekten für diese Leistung veranschlagt. Ein enger Zeitrahmen. Doch im März nächsten Jahres wollen die Familien der Baugruppe bereits einziehen und sind dementsprechend mit vollem Engagement bei der Sache: „Wir treffen uns mindestens alle 14 Tage, um anstehende Entscheidungen und Probleme durchzusprechen“, schätzt Kaden. Genauso oft trifft er sich mit den Handwerkern von Projekt Holzbau Merkle.

Fachmännische Ausführung: Sie genießt bei solch einem Projekt neben der ­Detailplanung höchste Priorität.

Publikumswirksam ist das Projekt schon jetzt. Kaden Klingbeil können sich vor Anfragen aus Presse-, Funk und Fernsehen kaum retten. Auch neue Interessenten kommen. „Wir hatten schon nach der ersten Pressekonferenz regen Zulauf von Familien, denen drei Dinge wichtig waren: der Werkstoff Holz, die Realisierung von selbst genutztem Wohneigentum mit einer Baugruppe und nicht zuletzt unsere Architektursprache“, freut sich Kaden.

Projektdaten

Bauvorhaben: Mehrfamilienhaus e3, 10407 Berlin
Bauweise: Pfosten-Riegelkonstruktion mit Massivholzausfachung
und HBV-Decken
Energiestandard: KfW-40
Bauzeit: 8/2007 bis 3/2008
Baukosten: ca. 1 570 000 Euro
Nutzfläche: 941 m²
Umbauter Raum: 4 196 m³
Bauherr: e3 GbR, Berlin
Planer/Architekt: Kaden Klingbeil Architekten
Statik: Prof. Julius Natterer
Haustechnik: Vita-Solartechnik,
Brandschutz: Dehne, Kruse & Partner
Bauleitung: Kaden Klingbeil Architekten
Generalunternehmer: Rohbau – projekt holzbau merkle. k.o.m. GmbH
Holzbauer: projekt holzbau merkle

Christine Ryll ist freiberufliche Journalistin in München.

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