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[ Jugendkirchen ]

Lichtorgel und Altar-Blackbox

Projekte für Jugendkirchen muten Architekten einiges zu – öffnen aber auch Wege zu religiösen Räumen für morgen

Altar anders: In Stuttgart gestalten die Jugendlichen ­ihren Kirchenraum jedes Jahr neu.

Von Christoph Gunßer

Seniorenkirche, Familienkirche, Intellektuellenkirche –auch vor den Glaubensgemeinschaften macht die Differenzierung der Gesellschaft nicht jalt. Besonders auffällig ist das Phänomen „Jugendkirche“: Rund 200 Initiativen sind im deutschsprachigen Raum aktiv. Meist geht es aber nach dem Motto „Kirchenbänke raus, Multimedia rein“. Man nutzt die Aura der alten Hülle und verfremdet sie bei Bedarf durch Medientechnik. Diese „ephemere Architektur“ aus Licht und Klängen steuern die Jugendlichen zumeist selbst. Theologische Bezüge wie etwa Farben, die in der kirchlichen Liturgie traditionell eine Rolle spielen, sind dabei „nicht Teil des Handbuches“, wie der Nürnberger Architekt Roland Nörpel anmerkt.

Das beeinflusst auch ambitionierte Projekte, etwa den Umbau der Lukaskirche zum „Lux“, Nürnbergs „Juki“, wie der Nachwuchs seine Gotteshäuser nennt. Hierfür hatte Nörpel im Jahr 2008 den beschränkten Wettbewerb gewonnen – und machte danach ganz neue Erfahrungen. Etwa mit allzu direkten Umsetzungsplänen der jungen Leute für das Wort „Lux“. „Muss das sein?“, fragte sich Nörpel entnervt, als das Juki-Team für seine Räume wechselndes LED-Licht wünschte. Er hatte ein klares Konzept – eine Lichtorgel gehörte nicht dazu. „Zu schnelllebig“ fand sie der Architekt, Jahrgang 1956 und selbst Vater zweier Teenager.

„Nehmen Sie sich zurück“, riet ihm daraufhin Willi Schönauer, der zuvor die Jugend-Kultur-Kirche in Frankfurt mitkonzipiert hatte und seither freiberuflich Juki-Initiativen berät. Die „Generation Viva“ sei nun mal von multimedialen Welten geprägt: „Wer in der Kirche nicht nur eine Dreiviertelstunde Gottesdienst absitzen will, verlangt Aufenthaltsqualität, ja auch Gemütlichkeit.“ Und dazu gehörten eben auch Elemente aus ihrem Disco-Leben: Hängematten, Palmen … „Zu glatt, zu stylisch“ seien ihnen häufig die von Architekten gelieferten Konzepte. „Die Jugendlichen wollen nicht, dass alles fix und perfekt ist“, sagt Schönauer aus eigener, leidvoller Erfahrung. „Ein 32-Ampere-Anschluss kann da wichtiger sein als raffinierte skulpturale Highlights.“ Im Lux-Projekt entstand so schließlich doch ein laut Schönauer für alle Beteiligten „wertvoller Raum“.

Lux-Box und Sitzstein als Brücken zur Kirche

Die Kirche im Nürnberger Nordosten stammt aus den frühen Sechzigerjahren (Architekt: Hans C. Reissinger). Mit 700 bis 800 Plätzen war sie zuletzt viel zu groß für die im Schnitt 30 Schäfchen, die sich sonntags einfanden. So fasste die Gesamtkirchengemeinde der Stadt 2007 den Entschluss, in dieser städtischen „Problemzone“ die neue Jugendkirche anzusiedeln. Die Lukasgemeinde sollte in der benachbarten Notkirche zusammenkommen.

Von außen ganz harmlos: Aus der Lukaskirche wurde das Lux, ein beliebter Veranstaltungs- und Versammlungsort auch für weltliche Nutzer

Roland Nörpels im beschränkten Wettbewerb 2008 prämierter Entwurf tastet das für die Bauzeit charakteristische Sechseck des Raums kaum an. Als die Kirchenbänke verschenkt waren, ergänzte er vor allem die Multimedia-Technik, die den Raum in jede erdenkliche Stimmung tauchen kann. Völlig neu ist indes der Zugang: Aus den zwei Portalen in der Südfassade wurden schräge „Lichtaugen“, die etwas von der jeweiligen Lichtstimmung nach außen dringen lassen, aber keinen direkten Einblick erlauben. „Frosch­augen“ und „Lichtkamine“ nennen sie die Jugendlichen. Man betritt den Raum nun seitlich über die „Lux-Box“, eine röhrenförmige Holzrahmenkonstruktion, die zwischen Kirche und Turm augenscheinlich „mal provisorisch gelandet ist“ (Nörpel). Hell und einladend fällt das Licht aus dieser Lounge auf den Vorplatz, wo Zauderern noch ein Sitzblock angeboten wird, um zunächst nur „in die Röhre zu schauen“. Die multifunktionale Box, als „sehr modische Form“ (Nörpel) ohne Zweifel ein Blickfang, ist Café und Bar, Verteiler, Passage im Stadtraum, kurz: eine „Brücke zur Kirche“, wie im Wettbewerb verlangt.

Täglich ab mittags geöffnet, mit drei Planstellen und ordentlichem Budget ausgestattet, wurde Lux wohl vor allem dank dieser ikonischen Architektur rasch zu einer angesagten Location in der Region. Der Umbau gilt beim Bauherrn wie bei Besuchern als außerordentlich geglückt, bei Kosten von 2,6 Millionen Euro (davon rund die Hälfte in den Kostengruppen 3 und 4). Leider lehnte der Bauherr es ab, das ohnehin sanierungsbedürftige Dach der Kirche mit Fotovoltaik-Modulen auszustatten – die Jugendlichen hätten auf diese Weise ihren zuweilen exzessiven Energieverbrauch zumindest symbolisch wiedergutmachen können.

In einem Punkt gab sich das Juki-Team sehr konservativ: Als das wuchtige Kreuz im Kirchenraum zur Disposition stand, entschieden sich die jungen Leute einstimmig für den Verbleib. Mit ihrem Sinn für Logos und Marken hatten sie klar erkannt, dass die Marke „Kirche“ ohne das Kreuz nicht mehr identifizierbar wäre. Das hindert indes nicht kirchliche Nutzer nicht daran, den Ort zuweilen zweckentfremdet zu besetzen: Als kürzlich Audi im Lux eine einwöchige Klausur abhielt, war das fürs Juki-Team ebenso wenig ein Problem wie Public Viewing zur Fußball-WM oder ein „Star Wars“-­Kinoabend. Vordergründig spielt die Polarität zwischen dem Heiligen und dem Weltlichen in der Jugendkultur kaum mehr eine Rolle. Es ist Nörpel zwar gelungen, die zwei Sphären durch die Unterteilung Lounge und Kirche auseinanderzuhalten. Doch in der Benutzung verschwimmen die Grenzen, und Berührungsängste sind selten. Einem Rüstungskonzern verweigerte das Team dann aber doch den Auftritt.

Innen immer neu: Paletten-Installation und Bewegungsspiel in der Stuttgarter Martinskirche

Unterhaltung im Stehen rund um den Altar

Auf einen schwer zu gewinnenden Wettlauf mit kommerz­iellen Locations lässt sich eine Stuttgarter Initiative mit dem Namen Kirchentrojaner gar nicht erst ein. „Zurück zu den Wurzeln“ könnte ihr Motto sein, Irritation ist ihr Weg. Begonnen haben die Architektur-Absolventen Aaron Werbick, Martin Blumenroth und Gerald Klahr 2006 im Rahmen der Jugendkirche Stuttgart. In der trutzigen evangelischen Martinskirche im Nordbahnhofsviertel fanden sie eine Licht- und Soundanlage und ein Innengerüst vor, das bei den jugendlichen Nutzern unbeliebt war. Als dem Projekt nach nur dreijährigem Anlauf die Schließung drohte, verlegte sich das Team auf „Festivals“: Mit minimalem Budget von 3 000 Euro wird die Kirche seither nur zwischen Karwoche und Pfingsten bespielt. Was dabei aus Paletten, Schalbrettern und Lkw-Planen entsteht, sind elementare Raumsituationen, die religiöse Inhalte neu interpretieren, den Jugendlichen zugleich das Erproben ihrer Fähigkeiten und Grenzerfahrungen ermöglichen.

Papierbahnen, Gerüste, Podeste: Raumerfahrungen im Stutt­garter Projekt der „Kirchentrojaner“

Über eine Treppe aus Paletten stieg die Gemeinde so in der Osternacht von der Empore „hinab ins Reich des Todes“. Ein andermal wurde der steinerne Altar, von einer hölzernen Blackbox umhüllt, zu einem Ort intimen Zwiegesprächs: „Man steht um den Stein und unterhält sich“, erzählt Trojaner Gerald Klahr. Jedes Jahr gibt es ein neues, überraschendes Baukonzept. Mobile Raumskulpturen verfremden den Kirchenraum, machen zugleich religiöse Lebensthemen sichtbar. Die Kirche wird zur „sozialen Plastik“, biblische Botschaften werden zu lebendigen Texträumen. Jugendkultur, Gegenwartskunst und Spiritualität treffen aufeinander. Dass die Einbauten auch zum Klettern, Herumlungern und Krachmachen genutzt werden, versteht sich von selbst. Werkstatt-Tage mit Schulklassen verwandeln regelmäßig Null-Bock-Kids in begeisterte Mitmacher.

Für Thomas Erne, Kirchbaudirektor der Evangelischen Kirche in Deutschland, sind die Jugendlichen indes nur Pioniere eines allgemeineren Trends. Er sieht ein wachsendes Interesse an Kirchenräumen, aber: „Es ist ein Interesse unter der Voraussetzung, dass man dort religiös nicht mehr belästigt wird. Der Raum ist gerade deshalb so interessant, weil dort niemand von mir irgendwas verlangt.“ Und er fragt sich: „Wird der religiöse Raum zum Inhalt der Religion? In Gottesdiensten wie denen in der Martinskirche sieht Erne eine „investigative Liturgie“ entstehen: „Waren Sie schon einmal im Heizungsschacht Ihrer Kirche und haben überlegt, ob das ein liturgischer Raum sein könnte?“ Kirche ist für ihn ein „nie ganz aufzulösendes Geheimnis“, und: „Jede Gemeinde muss von Zeit zu Zeit gleichsam neu in den eigenen Kirchenraum einziehen.“

Die „minimalinvasiven Eingriffe“ der Kirchentrojaner helfen so, Kirche zu verjüngen. Ganz im Sinne der „Kirche als sozialer Plastik“ zieht es die drei dabei immer wieder auch hinaus in den Stadtraum: Auf der Stuttgarter Königstraße bauten sie 2008 „den längsten Altar der Welt“; in Naumburg realisierten sie mit Schülern den „schwebenden Goldraum“ aus aufgeblasenen Planen, ein Projekt im Rahmen der Kampagne BauTraum. Gerald Klahr: „Für einen Moment schwebt ein goldener Raum durch die Stadt. Gold, der Inbegriff des Kostbaren, Schweren und Unverrückbaren, bekommt auf einmal eine Leichtigkeit.“ Vom Konsumenten zum Akteur zu werden, starre Strukturen zu unterwandern und sich als Spielräume anzueignen – das zieht sich durch das gesamte, erfrischend „andere“ Werk der Kirchentrojaner. „Wie beteiligt man Menschen am Entstehen von Räumen?“, ist für sie zentrale Zukunftsfrage – nicht nur für die Kirchen.

Christoph Gunßer ist Architektur-Fachjournalist in Schrozberg-Bartenstein.

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